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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Sonnenstrahl, nach dem es komm oder geh
heißt und bleibt. --

Wenn ich, sagte der Graf, deßen Einbil-
dungskraft im Adlerfluge war, den Augen-
blick hinmahlen laßen könnte, wenn ein
Mensch stirbt, was würd' ich drum geben!
Diesen Augenblick zu observiren, kostet Mühe
und Erfahrung, und doch glaub ich am Ende,
hab ich nur fünf im eigentlichsten Sinn ster-
ben gesehen; ich hof's zu sieben zu bringen.
Ein heftiger Ruck -- bey allen fünfen; bey
einem unter den fünfen war der Tod ein würk-
licher Einschlaf. Diese fünfe hängen hier,
nicht wahr, etwas zu sehr im Dunklen? ich
liebe einen gewißen Schatten auf diesen Ge-
sichtern, den ich zum Theil erkünsteln muß.
Die Fensterladen auf! -- -- Da der, der
ists, von dem ich sprach! Wahr! ich fand
es, ich fand noch Seele, aber eben Abschied-
nehmend, und so lieblich, als sagte sie: Leb-
wohl, lieber Junge Leib! Lebwohl! Ich wer-
de dich noch oft auf dem Kirchhofe besuchen,
wo man dich hinbringt, wenn es angeht, will
ich sehen, wo du bleibst, auch wenn sich
Staub von Staub losreißt. -- Sey gutes
Muths! Gott vermag Alles! So lange du
in seiner Welt bist, sind wir zusammen! Wei-

ne

Sonnenſtrahl, nach dem es komm oder geh
heißt und bleibt. —

Wenn ich, ſagte der Graf, deßen Einbil-
dungskraft im Adlerfluge war, den Augen-
blick hinmahlen laßen koͤnnte, wenn ein
Menſch ſtirbt, was wuͤrd’ ich drum geben!
Dieſen Augenblick zu obſerviren, koſtet Muͤhe
und Erfahrung, und doch glaub ich am Ende,
hab ich nur fuͤnf im eigentlichſten Sinn ſter-
ben geſehen; ich hof’s zu ſieben zu bringen.
Ein heftiger Ruck — bey allen fuͤnfen; bey
einem unter den fuͤnfen war der Tod ein wuͤrk-
licher Einſchlaf. Dieſe fuͤnfe haͤngen hier,
nicht wahr, etwas zu ſehr im Dunklen? ich
liebe einen gewißen Schatten auf dieſen Ge-
ſichtern, den ich zum Theil erkuͤnſteln muß.
Die Fenſterladen auf! — — Da der, der
iſts, von dem ich ſprach! Wahr! ich fand
es, ich fand noch Seele, aber eben Abſchied-
nehmend, und ſo lieblich, als ſagte ſie: Leb-
wohl, lieber Junge Leib! Lebwohl! Ich wer-
de dich noch oft auf dem Kirchhofe beſuchen,
wo man dich hinbringt, wenn es angeht, will
ich ſehen, wo du bleibſt, auch wenn ſich
Staub von Staub losreißt. — Sey gutes
Muths! Gott vermag Alles! So lange du
in ſeiner Welt biſt, ſind wir zuſammen! Wei-

ne
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[91/0097] Sonnenſtrahl, nach dem es komm oder geh heißt und bleibt. — Wenn ich, ſagte der Graf, deßen Einbil- dungskraft im Adlerfluge war, den Augen- blick hinmahlen laßen koͤnnte, wenn ein Menſch ſtirbt, was wuͤrd’ ich drum geben! Dieſen Augenblick zu obſerviren, koſtet Muͤhe und Erfahrung, und doch glaub ich am Ende, hab ich nur fuͤnf im eigentlichſten Sinn ſter- ben geſehen; ich hof’s zu ſieben zu bringen. Ein heftiger Ruck — bey allen fuͤnfen; bey einem unter den fuͤnfen war der Tod ein wuͤrk- licher Einſchlaf. Dieſe fuͤnfe haͤngen hier, nicht wahr, etwas zu ſehr im Dunklen? ich liebe einen gewißen Schatten auf dieſen Ge- ſichtern, den ich zum Theil erkuͤnſteln muß. Die Fenſterladen auf! — — Da der, der iſts, von dem ich ſprach! Wahr! ich fand es, ich fand noch Seele, aber eben Abſchied- nehmend, und ſo lieblich, als ſagte ſie: Leb- wohl, lieber Junge Leib! Lebwohl! Ich wer- de dich noch oft auf dem Kirchhofe beſuchen, wo man dich hinbringt, wenn es angeht, will ich ſehen, wo du bleibſt, auch wenn ſich Staub von Staub losreißt. — Sey gutes Muths! Gott vermag Alles! So lange du in ſeiner Welt biſt, ſind wir zuſammen! Wei- ne

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/97>, abgerufen am 06.05.2024.