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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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die Geliebte, siehst du nicht mehr, so ganz er-
denganz, wie sie da waren; die Idee, der
Leib, den du geliebt hast, dem du so gut gewe-
sen bist, ist Asche! ist Staub! O liebster Graf!
das brennt wie Neßeln an die Seele. Wir
betrauren nicht die Seele, sondern den Leib,
weil er Fleisch von unserm Fleisch ist. --

Wenn noch ja eine künstliche Stöhrung
im Schmerz angenehm wäre, würd' es die
seyn, wenn man hohe Achtung für Jemand
hat, und sich gerade halten muß. Der
Schmerz geht krumm und sehr gebückt.
Durch diesen Zwang kommt man zuweilen der
Zeit vor; allein oft ruht sie sich. Es kom-
men Recidive! -- Sich Gott, das ist, sich
der Zeit überlaßen, das, hoff' ich, wird meine
Wunde heilen. -- Es kann Linderung geben,
wenn man aus Schmerz die Binde wegreißt;
allein die Wunde wird gefährlicher durch die-
sen Aufris. Man laße der Natur ihren Lauf;
sonst ists Unnatur. Die Alten erzürnten sich
zuweilen mit den Göttern über einen Todes-
fall. Sie schimpften, sie warfen die Bilder
der Hausgötter auf die Straße, und wollten
nicht mehr so unerkenntlichen Göttern ein
Obdach verstatten. Es ist Schmerzensnatur
so etwas auslaufen laßen! -- und nichts

bringt

die Geliebte, ſiehſt du nicht mehr, ſo ganz er-
denganz, wie ſie da waren; die Idee, der
Leib, den du geliebt haſt, dem du ſo gut gewe-
ſen biſt, iſt Aſche! iſt Staub! O liebſter Graf!
das brennt wie Neßeln an die Seele. Wir
betrauren nicht die Seele, ſondern den Leib,
weil er Fleiſch von unſerm Fleiſch iſt. —

Wenn noch ja eine kuͤnſtliche Stoͤhrung
im Schmerz angenehm waͤre, wuͤrd’ es die
ſeyn, wenn man hohe Achtung fuͤr Jemand
hat, und ſich gerade halten muß. Der
Schmerz geht krumm und ſehr gebuͤckt.
Durch dieſen Zwang kommt man zuweilen der
Zeit vor; allein oft ruht ſie ſich. Es kom-
men Recidive! — Sich Gott, das iſt, ſich
der Zeit uͤberlaßen, das, hoff’ ich, wird meine
Wunde heilen. — Es kann Linderung geben,
wenn man aus Schmerz die Binde wegreißt;
allein die Wunde wird gefaͤhrlicher durch die-
ſen Aufris. Man laße der Natur ihren Lauf;
ſonſt iſts Unnatur. Die Alten erzuͤrnten ſich
zuweilen mit den Goͤttern uͤber einen Todes-
fall. Sie ſchimpften, ſie warfen die Bilder
der Hausgoͤtter auf die Straße, und wollten
nicht mehr ſo unerkenntlichen Goͤttern ein
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[43/0049] die Geliebte, ſiehſt du nicht mehr, ſo ganz er- denganz, wie ſie da waren; die Idee, der Leib, den du geliebt haſt, dem du ſo gut gewe- ſen biſt, iſt Aſche! iſt Staub! O liebſter Graf! das brennt wie Neßeln an die Seele. Wir betrauren nicht die Seele, ſondern den Leib, weil er Fleiſch von unſerm Fleiſch iſt. — Wenn noch ja eine kuͤnſtliche Stoͤhrung im Schmerz angenehm waͤre, wuͤrd’ es die ſeyn, wenn man hohe Achtung fuͤr Jemand hat, und ſich gerade halten muß. Der Schmerz geht krumm und ſehr gebuͤckt. Durch dieſen Zwang kommt man zuweilen der Zeit vor; allein oft ruht ſie ſich. Es kom- men Recidive! — Sich Gott, das iſt, ſich der Zeit uͤberlaßen, das, hoff’ ich, wird meine Wunde heilen. — Es kann Linderung geben, wenn man aus Schmerz die Binde wegreißt; allein die Wunde wird gefaͤhrlicher durch die- ſen Aufris. Man laße der Natur ihren Lauf; ſonſt iſts Unnatur. Die Alten erzuͤrnten ſich zuweilen mit den Goͤttern uͤber einen Todes- fall. Sie ſchimpften, ſie warfen die Bilder der Hausgoͤtter auf die Straße, und wollten nicht mehr ſo unerkenntlichen Goͤttern ein Obdach verſtatten. Es iſt Schmerzensnatur ſo etwas auslaufen laßen! — und nichts bringt

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/49>, abgerufen am 19.04.2024.