Hand und Mund zugleich bewegen, war, wie wir wissen, meines Vaters Losung. -- -- Der Kirchhof in L--, der roßgärtsche Kirch- hof in Königsberg, das waren mein Messer, Buch, Scheere, Wachsbart, Zahnstocher. --
Die Alten brauchten den Tod, als ein Mittel der Aufmunterung. Ich ahmt' ihnen nach, wiewohl auf andre Weise, die aber nichts zur Sache selbst thut. Hätt ich, ein- sam in mich verschlossen, der Welt das Rau- he zugekehrt: da wäre freylich nichts Kluges herausgekommen. In Gesellschaft gefällt das Wundersame; in der Einsamkeit scha- det es.
Ich habe schon meinen Lesern meinen Stu- dirplan ad unguem vorgerissen. Ich war darum auf der Akademie, um mich vor Ir- thümern protestando zu verwahren. Mein Vater stand keinem Menschen das Recht zu, ohne Rand zu schreiben, und auch, wie er sich uneigentlich auszudrücken pflegte, ohne Rand zu sprechen. Wir sind Menschen, setzte er hinzu. Man muß sich mit keiner Schrift so einverstehen, daß man es dabey läßt: Es stehet geschrieben. Was mündlich vorfält, ist Scheidemünze. Was ist Ihre Meynung, lieber Professor Grosvater? Was? Ists ge-
nung,
Hand und Mund zugleich bewegen, war, wie wir wiſſen, meines Vaters Loſung. — — Der Kirchhof in L—, der roßgaͤrtſche Kirch- hof in Koͤnigsberg, das waren mein Meſſer, Buch, Scheere, Wachsbart, Zahnſtocher. —
Die Alten brauchten den Tod, als ein Mittel der Aufmunterung. Ich ahmt’ ihnen nach, wiewohl auf andre Weiſe, die aber nichts zur Sache ſelbſt thut. Haͤtt ich, ein- ſam in mich verſchloſſen, der Welt das Rau- he zugekehrt: da waͤre freylich nichts Kluges herausgekommen. In Geſellſchaft gefaͤllt das Wunderſame; in der Einſamkeit ſcha- det es.
Ich habe ſchon meinen Leſern meinen Stu- dirplan ad unguem vorgeriſſen. Ich war darum auf der Akademie, um mich vor Ir- thuͤmern proteſtando zu verwahren. Mein Vater ſtand keinem Menſchen das Recht zu, ohne Rand zu ſchreiben, und auch, wie er ſich uneigentlich auszudruͤcken pflegte, ohne Rand zu ſprechen. Wir ſind Menſchen, ſetzte er hinzu. Man muß ſich mit keiner Schrift ſo einverſtehen, daß man es dabey laͤßt: Es ſtehet geſchrieben. Was muͤndlich vorfaͤlt, iſt Scheidemuͤnze. Was iſt Ihre Meynung, lieber Profeſſor Grosvater? Was? Iſts ge-
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Hand und Mund zugleich bewegen, war, wie
wir wiſſen, meines Vaters Loſung. — —
Der Kirchhof in L—, der roßgaͤrtſche Kirch-
hof in Koͤnigsberg, das waren mein Meſſer,
Buch, Scheere, Wachsbart, Zahnſtocher. —
Die Alten brauchten den Tod, als ein
Mittel der Aufmunterung. Ich ahmt’ ihnen
nach, wiewohl auf andre Weiſe, die aber
nichts zur Sache ſelbſt thut. Haͤtt ich, ein-
ſam in mich verſchloſſen, der Welt das Rau-
he zugekehrt: da waͤre freylich nichts Kluges
herausgekommen. In Geſellſchaft gefaͤllt
das Wunderſame; in der Einſamkeit ſcha-
det es.
Ich habe ſchon meinen Leſern meinen Stu-
dirplan ad unguem vorgeriſſen. Ich war
darum auf der Akademie, um mich vor Ir-
thuͤmern proteſtando zu verwahren. Mein
Vater ſtand keinem Menſchen das Recht zu,
ohne Rand zu ſchreiben, und auch, wie er
ſich uneigentlich auszudruͤcken pflegte, ohne
Rand zu ſprechen. Wir ſind Menſchen, ſetzte
er hinzu. Man muß ſich mit keiner Schrift
ſo einverſtehen, daß man es dabey laͤßt: Es
ſtehet geſchrieben. Was muͤndlich vorfaͤlt,
iſt Scheidemuͤnze. Was iſt Ihre Meynung,
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/306>, abgerufen am 25.11.2024.
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