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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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beständig Särger gearbeitet. Der Graf dien-
te armen Leuten aus seiner Sargfabrike.
Jetzt war kein Provisionssarg in Arbeit. Der
Sargtischler hatte Thränen in den Augen,
wie der in Curland, den meine Mutter des
Todes Zimmermann nannte, und der in seiner
Gewerksstube herzlich weinte, wenn er einen
Sarg für einen Redlichen im Lande erbauete.
Gott, sagte der Weinende, und wandte sich
zu seinem Beichtvater, meinem Reisegefehrten!
Ach Gott! lieber Herr Pfarrer, der künftige
Einwohner dieses Hauses hatt' ein schönes En-
de! Das leztemal, daß ich für Jemand einen
Sarg mache, den ich sterben gesehen! Mag
es thun wers kann -- ich nicht -- ich hoble
mir das Herz ab.

Dieser Ausdruck, der ihm, wie man deut-
lich sahe -- entfuhr, schlug ihn nieder. Er
verlohr Spannung und Kraft. Das Hand-
werkzeug entfiel ihm. -- Das rührendste
war immer, daß er sein Gesicht in ein Stück
seiner Schürze verhüllte. Dies ist ein wohl-
hergebrachtes Zeichen der Traurigkeit. Wir
verhüllen uns, als ob wir der Welt entsagen
und uns auf uns selbst einschränken wollten,
als ob der Fall zu schwer wäre, um ihn fas-
sen -- selbst um ihn sehen zu können. Wahr-

lich

beſtaͤndig Saͤrger gearbeitet. Der Graf dien-
te armen Leuten aus ſeiner Sargfabrike.
Jetzt war kein Proviſionsſarg in Arbeit. Der
Sargtiſchler hatte Thraͤnen in den Augen,
wie der in Curland, den meine Mutter des
Todes Zimmermann nannte, und der in ſeiner
Gewerksſtube herzlich weinte, wenn er einen
Sarg fuͤr einen Redlichen im Lande erbauete.
Gott, ſagte der Weinende, und wandte ſich
zu ſeinem Beichtvater, meinem Reiſegefehrten!
Ach Gott! lieber Herr Pfarrer, der kuͤnftige
Einwohner dieſes Hauſes hatt’ ein ſchoͤnes En-
de! Das leztemal, daß ich fuͤr Jemand einen
Sarg mache, den ich ſterben geſehen! Mag
es thun wers kann — ich nicht — ich hoble
mir das Herz ab.

Dieſer Ausdruck, der ihm, wie man deut-
lich ſahe — entfuhr, ſchlug ihn nieder. Er
verlohr Spannung und Kraft. Das Hand-
werkzeug entfiel ihm. — Das ruͤhrendſte
war immer, daß er ſein Geſicht in ein Stuͤck
ſeiner Schuͤrze verhuͤllte. Dies iſt ein wohl-
hergebrachtes Zeichen der Traurigkeit. Wir
verhuͤllen uns, als ob wir der Welt entſagen
und uns auf uns ſelbſt einſchraͤnken wollten,
als ob der Fall zu ſchwer waͤre, um ihn faſ-
ſen — ſelbſt um ihn ſehen zu koͤnnen. Wahr-

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[20/0026] beſtaͤndig Saͤrger gearbeitet. Der Graf dien- te armen Leuten aus ſeiner Sargfabrike. Jetzt war kein Proviſionsſarg in Arbeit. Der Sargtiſchler hatte Thraͤnen in den Augen, wie der in Curland, den meine Mutter des Todes Zimmermann nannte, und der in ſeiner Gewerksſtube herzlich weinte, wenn er einen Sarg fuͤr einen Redlichen im Lande erbauete. Gott, ſagte der Weinende, und wandte ſich zu ſeinem Beichtvater, meinem Reiſegefehrten! Ach Gott! lieber Herr Pfarrer, der kuͤnftige Einwohner dieſes Hauſes hatt’ ein ſchoͤnes En- de! Das leztemal, daß ich fuͤr Jemand einen Sarg mache, den ich ſterben geſehen! Mag es thun wers kann — ich nicht — ich hoble mir das Herz ab. Dieſer Ausdruck, der ihm, wie man deut- lich ſahe — entfuhr, ſchlug ihn nieder. Er verlohr Spannung und Kraft. Das Hand- werkzeug entfiel ihm. — Das ruͤhrendſte war immer, daß er ſein Geſicht in ein Stuͤck ſeiner Schuͤrze verhuͤllte. Dies iſt ein wohl- hergebrachtes Zeichen der Traurigkeit. Wir verhuͤllen uns, als ob wir der Welt entſagen und uns auf uns ſelbſt einſchraͤnken wollten, als ob der Fall zu ſchwer waͤre, um ihn faſ- ſen — ſelbſt um ihn ſehen zu koͤnnen. Wahr- lich

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/26>, abgerufen am 26.04.2024.