Strebt der Sonne entgegen, Freunde, damit das Heil des menschlichen Geschlechts bald reif werde! Was wollen die hindern- den Blätter? was die Aeste? -- Schlagt euch durch zur Sonne, und ermüdet ihr! auch gut! desto beßer läßt sich schlafen! --
Eine wohlgesetzte Red' ist nie zum Behal- ten eingerichtet. Man will sie ganz, und hat nichts. Es ist ein regelmäßiger Garten, wo es recht hübsch und fein aussieht; allein was kannst du heimführen? Blumen? Blumen in der Hand, von der Wurzel gerißen, was sollen die? Nimm den ganzen Garten mit, was hast du? Ein ganz richtig gerechnetes Exempel zusammt der Probe. Wildnis, Berg und Thal, aus dem Vollen gehauene Gänge, Parke, die machen Eindruck und laßen ihn auch. So vortreflich unordentlich war diese Rede. Es war kein Kunst- sondern ein Naturstück, und was ist, pflegte mein Va- ter zu sagen, was ist es denn, das die künst- lich gezogene Wortschleuße und die daher rau- schende Fluten des Redners, die all an seinen Text schlagen, erzeugen? Schaum, und wenn auch eine Venus daraus würde, nicht jedem ist mit dieser Schaumgöttin gedient. -- Was ich meinen Lesern von der Wildnis-Rede gege-
ben,
Strebt der Sonne entgegen, Freunde, damit das Heil des menſchlichen Geſchlechts bald reif werde! Was wollen die hindern- den Blaͤtter? was die Aeſte? — Schlagt euch durch zur Sonne, und ermuͤdet ihr! auch gut! deſto beßer laͤßt ſich ſchlafen! —
Eine wohlgeſetzte Red’ iſt nie zum Behal- ten eingerichtet. Man will ſie ganz, und hat nichts. Es iſt ein regelmaͤßiger Garten, wo es recht huͤbſch und fein ausſieht; allein was kannſt du heimfuͤhren? Blumen? Blumen in der Hand, von der Wurzel gerißen, was ſollen die? Nimm den ganzen Garten mit, was haſt du? Ein ganz richtig gerechnetes Exempel zuſammt der Probe. Wildnis, Berg und Thal, aus dem Vollen gehauene Gaͤnge, Parke, die machen Eindruck und laßen ihn auch. So vortreflich unordentlich war dieſe Rede. Es war kein Kunſt- ſondern ein Naturſtuͤck, und was iſt, pflegte mein Va- ter zu ſagen, was iſt es denn, das die kuͤnſt- lich gezogene Wortſchleuße und die daher rau- ſchende Fluten des Redners, die all an ſeinen Text ſchlagen, erzeugen? Schaum, und wenn auch eine Venus daraus wuͤrde, nicht jedem iſt mit dieſer Schaumgoͤttin gedient. — Was ich meinen Leſern von der Wildnis-Rede gege-
ben,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0206"n="200"/><p>Strebt der Sonne entgegen, Freunde,<lb/>
damit das Heil des menſchlichen Geſchlechts<lb/>
bald reif werde! Was wollen die hindern-<lb/>
den Blaͤtter? was die Aeſte? — Schlagt<lb/>
euch durch zur Sonne, und ermuͤdet ihr! auch<lb/>
gut! deſto beßer laͤßt ſich ſchlafen! —</p><lb/><p>Eine wohlgeſetzte Red’ iſt nie zum Behal-<lb/>
ten eingerichtet. Man will ſie ganz, und hat<lb/>
nichts. Es iſt ein regelmaͤßiger Garten, wo<lb/>
es recht huͤbſch und fein ausſieht; allein was<lb/>
kannſt du heimfuͤhren? Blumen? Blumen<lb/>
in der Hand, von der Wurzel gerißen, was<lb/>ſollen die? Nimm den ganzen Garten mit,<lb/>
was haſt du? Ein ganz richtig gerechnetes<lb/>
Exempel zuſammt der Probe. Wildnis,<lb/>
Berg und Thal, aus dem Vollen gehauene<lb/>
Gaͤnge, Parke, die machen Eindruck und<lb/>
laßen ihn auch. So vortreflich unordentlich<lb/>
war dieſe Rede. Es war kein Kunſt- ſondern<lb/>
ein Naturſtuͤck, und was iſt, pflegte mein Va-<lb/>
ter zu ſagen, was iſt es denn, das die kuͤnſt-<lb/>
lich gezogene Wortſchleuße und die daher rau-<lb/>ſchende Fluten des Redners, die all an ſeinen<lb/>
Text ſchlagen, erzeugen? Schaum, und wenn<lb/>
auch eine Venus daraus wuͤrde, nicht jedem<lb/>
iſt mit dieſer Schaumgoͤttin gedient. — Was<lb/>
ich meinen Leſern von der Wildnis-Rede gege-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ben,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[200/0206]
Strebt der Sonne entgegen, Freunde,
damit das Heil des menſchlichen Geſchlechts
bald reif werde! Was wollen die hindern-
den Blaͤtter? was die Aeſte? — Schlagt
euch durch zur Sonne, und ermuͤdet ihr! auch
gut! deſto beßer laͤßt ſich ſchlafen! —
Eine wohlgeſetzte Red’ iſt nie zum Behal-
ten eingerichtet. Man will ſie ganz, und hat
nichts. Es iſt ein regelmaͤßiger Garten, wo
es recht huͤbſch und fein ausſieht; allein was
kannſt du heimfuͤhren? Blumen? Blumen
in der Hand, von der Wurzel gerißen, was
ſollen die? Nimm den ganzen Garten mit,
was haſt du? Ein ganz richtig gerechnetes
Exempel zuſammt der Probe. Wildnis,
Berg und Thal, aus dem Vollen gehauene
Gaͤnge, Parke, die machen Eindruck und
laßen ihn auch. So vortreflich unordentlich
war dieſe Rede. Es war kein Kunſt- ſondern
ein Naturſtuͤck, und was iſt, pflegte mein Va-
ter zu ſagen, was iſt es denn, das die kuͤnſt-
lich gezogene Wortſchleuße und die daher rau-
ſchende Fluten des Redners, die all an ſeinen
Text ſchlagen, erzeugen? Schaum, und wenn
auch eine Venus daraus wuͤrde, nicht jedem
iſt mit dieſer Schaumgoͤttin gedient. — Was
ich meinen Leſern von der Wildnis-Rede gege-
ben,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/206>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.