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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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ganzes Leben vor dem Tode fürchten, heißt
zwar, ein Knecht, ein egyptischer Sclave des
Todes seyn; allein noch lange nicht, sterben
lernen, den Tod studiren. Mensch, bey al-
lem was du thust, gedenke ans Ende! so wirst
du nimmermehr übel thun, das heißt: Mensch,
lebe gut, um gut zu sterben. Ich vor mein
Theil (der Graf fiel in einen andern Ton)
habe den Tod herzlich lieb, sehr gern seh ich
sterben. Sterben allein, das ist mein Leben.
Jeder muß wissen, was ihm Leben ist; ich
habe nichts wider das Leben, wie der Herr
Gevatter meynt. Da der Prediger sich blos
auf dies Wort bückte, brach der Graf ab, und
versicherte, der festen Hofnung zu leben, daß
er sanft sterben würde. Du weißt, Bruder!
sagt' er zum Bedienten, ich hoffe zu sterben,
wie der Leinweber. War es nicht, lieber Gott,
fragt' er zuversichtlich, inbrünstig, war es
nicht Todesangst, Todesnoth, was ich aus
dem Kelche trank, den du, mein Vater, mir
gabst? hab' ich noch diesen ganzen Kelch zu
leeren? oder wird meine Zunge, wenn es ans
letzte geht, nur noch die letzten wenigen Tro-
pfen aufziehen? Dein Wille! nicht wie ich
will, sondern wie du wilst. --

Der
K 4

ganzes Leben vor dem Tode fuͤrchten, heißt
zwar, ein Knecht, ein egyptiſcher Sclave des
Todes ſeyn; allein noch lange nicht, ſterben
lernen, den Tod ſtudiren. Menſch, bey al-
lem was du thuſt, gedenke ans Ende! ſo wirſt
du nimmermehr uͤbel thun, das heißt: Menſch,
lebe gut, um gut zu ſterben. Ich vor mein
Theil (der Graf fiel in einen andern Ton)
habe den Tod herzlich lieb, ſehr gern ſeh ich
ſterben. Sterben allein, das iſt mein Leben.
Jeder muß wiſſen, was ihm Leben iſt; ich
habe nichts wider das Leben, wie der Herr
Gevatter meynt. Da der Prediger ſich blos
auf dies Wort buͤckte, brach der Graf ab, und
verſicherte, der feſten Hofnung zu leben, daß
er ſanft ſterben wuͤrde. Du weißt, Bruder!
ſagt’ er zum Bedienten, ich hoffe zu ſterben,
wie der Leinweber. War es nicht, lieber Gott,
fragt’ er zuverſichtlich, inbruͤnſtig, war es
nicht Todesangſt, Todesnoth, was ich aus
dem Kelche trank, den du, mein Vater, mir
gabſt? hab’ ich noch dieſen ganzen Kelch zu
leeren? oder wird meine Zunge, wenn es ans
letzte geht, nur noch die letzten wenigen Tro-
pfen aufziehen? Dein Wille! nicht wie ich
will, ſondern wie du wilſt. —

Der
K 4
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[151/0157] ganzes Leben vor dem Tode fuͤrchten, heißt zwar, ein Knecht, ein egyptiſcher Sclave des Todes ſeyn; allein noch lange nicht, ſterben lernen, den Tod ſtudiren. Menſch, bey al- lem was du thuſt, gedenke ans Ende! ſo wirſt du nimmermehr uͤbel thun, das heißt: Menſch, lebe gut, um gut zu ſterben. Ich vor mein Theil (der Graf fiel in einen andern Ton) habe den Tod herzlich lieb, ſehr gern ſeh ich ſterben. Sterben allein, das iſt mein Leben. Jeder muß wiſſen, was ihm Leben iſt; ich habe nichts wider das Leben, wie der Herr Gevatter meynt. Da der Prediger ſich blos auf dies Wort buͤckte, brach der Graf ab, und verſicherte, der feſten Hofnung zu leben, daß er ſanft ſterben wuͤrde. Du weißt, Bruder! ſagt’ er zum Bedienten, ich hoffe zu ſterben, wie der Leinweber. War es nicht, lieber Gott, fragt’ er zuverſichtlich, inbruͤnſtig, war es nicht Todesangſt, Todesnoth, was ich aus dem Kelche trank, den du, mein Vater, mir gabſt? hab’ ich noch dieſen ganzen Kelch zu leeren? oder wird meine Zunge, wenn es ans letzte geht, nur noch die letzten wenigen Tro- pfen aufziehen? Dein Wille! nicht wie ich will, ſondern wie du wilſt. — Der K 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/157>, abgerufen am 23.11.2024.