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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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ihr zeigen würde. -- Die Curländerin
hatte, wie sie sagte, zum Glück etwas aus
dem gutthätigen Wörterbuche gelernt, und
wolte mit ihrer Wissenschaft wuchern. Nicht
auf die Saat, sondern aufs Gedeyen, kommts
an. Ich für mein Theil, sagte der Graf,
würde meine Kinder eher von Ihnen, als
von einer Französin, die nur eben gerades-
weges von Paris kommt, im Französischen
unterrichten laßen, wenn ich Kinder hätte,
fügte er nach einer Weile hinzu, und das so
gerührt, daß -- Er selbst weinte nicht. In-
dessen war der Geist bey unserer Curländerin
willig, das Fleisch aber schwach. Sie er-
reichte mit genauer Noth ein Wirthshaus,
wo man sich blos des Lagers wegen das letzte
bischen Sachen zueignete, das sie mittrug.
Man nahm sogar ein Bündel französischer
Vocabeln, die sie sich als ein Viaticum aus-
geschrieben hatte, weil sie in Goldpapier ge-
näht waren, in Zahlung. Die Sentenzen
und andre Papiere ohne Goldpapier lies man
ihr. O die Unglückliche! Sie verlohr mit
den Vocabeln auch die Herzhaftigkeit, in der
Sprache Unterricht zu geben. Hand an sich
zu legen, wer kann das? Die Hungersnoth,
dacht' ich, wird ohne dein Zuthun dich erlö-

sen,
J 4

ihr zeigen wuͤrde. — Die Curlaͤnderin
hatte, wie ſie ſagte, zum Gluͤck etwas aus
dem gutthaͤtigen Woͤrterbuche gelernt, und
wolte mit ihrer Wiſſenſchaft wuchern. Nicht
auf die Saat, ſondern aufs Gedeyen, kommts
an. Ich fuͤr mein Theil, ſagte der Graf,
wuͤrde meine Kinder eher von Ihnen, als
von einer Franzoͤſin, die nur eben gerades-
weges von Paris kommt, im Franzoͤſiſchen
unterrichten laßen, wenn ich Kinder haͤtte,
fuͤgte er nach einer Weile hinzu, und das ſo
geruͤhrt, daß — Er ſelbſt weinte nicht. In-
deſſen war der Geiſt bey unſerer Curlaͤnderin
willig, das Fleiſch aber ſchwach. Sie er-
reichte mit genauer Noth ein Wirthshaus,
wo man ſich blos des Lagers wegen das letzte
bischen Sachen zueignete, das ſie mittrug.
Man nahm ſogar ein Buͤndel franzoͤſiſcher
Vocabeln, die ſie ſich als ein Viaticum aus-
geſchrieben hatte, weil ſie in Goldpapier ge-
naͤht waren, in Zahlung. Die Sentenzen
und andre Papiere ohne Goldpapier lies man
ihr. O die Ungluͤckliche! Sie verlohr mit
den Vocabeln auch die Herzhaftigkeit, in der
Sprache Unterricht zu geben. Hand an ſich
zu legen, wer kann das? Die Hungersnoth,
dacht’ ich, wird ohne dein Zuthun dich erloͤ-

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[135/0141] ihr zeigen wuͤrde. — Die Curlaͤnderin hatte, wie ſie ſagte, zum Gluͤck etwas aus dem gutthaͤtigen Woͤrterbuche gelernt, und wolte mit ihrer Wiſſenſchaft wuchern. Nicht auf die Saat, ſondern aufs Gedeyen, kommts an. Ich fuͤr mein Theil, ſagte der Graf, wuͤrde meine Kinder eher von Ihnen, als von einer Franzoͤſin, die nur eben gerades- weges von Paris kommt, im Franzoͤſiſchen unterrichten laßen, wenn ich Kinder haͤtte, fuͤgte er nach einer Weile hinzu, und das ſo geruͤhrt, daß — Er ſelbſt weinte nicht. In- deſſen war der Geiſt bey unſerer Curlaͤnderin willig, das Fleiſch aber ſchwach. Sie er- reichte mit genauer Noth ein Wirthshaus, wo man ſich blos des Lagers wegen das letzte bischen Sachen zueignete, das ſie mittrug. Man nahm ſogar ein Buͤndel franzoͤſiſcher Vocabeln, die ſie ſich als ein Viaticum aus- geſchrieben hatte, weil ſie in Goldpapier ge- naͤht waren, in Zahlung. Die Sentenzen und andre Papiere ohne Goldpapier lies man ihr. O die Ungluͤckliche! Sie verlohr mit den Vocabeln auch die Herzhaftigkeit, in der Sprache Unterricht zu geben. Hand an ſich zu legen, wer kann das? Die Hungersnoth, dacht’ ich, wird ohne dein Zuthun dich erloͤ- ſen, J 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/141>, abgerufen am 27.11.2024.