eigentlich lebte, um zu sterben, oder eigent- lich starb, und nicht lebte. Der Graf hatte zu diesem Rückhalt sehr große Ursachen. Man muß, sagt' er, keinem Menschen das Ster- ben verderben. Der Arzt, der es durch die Signa Mortis vielleicht eben so gut weiß, als ich, (ich sage vielleicht; denn er weiß es vom Körper, ich von der Seele,) ist mein Mann nicht mehr, so bald er es seinem Patienten ins Ohr raunt, oder Leuten entdeckt, die der Pa- tient an den Arzt abgesandt. Eine schreckliche Gesandschaft! Meine Aerzte müssen sich der- gleichen Kunstverräthereyen nicht zu Schulden kommen lassen. Mir können sie zunicken, was sie hoffen -- was sie fürchten. -- Das erste, fuhr der Graf fort, was die Patienten gefragt wird, ist: ob sie schon ihren letzten Willen entworfen? ihr Haus bestellt? und ihren Geist in die Hand Gottes einschreiben laßen? Diese peinliche Frage, dieses Verhör, enthält den größten Theil des Lebenslaufs, den der Graf gern, herzlich gern, vorn Wil- len nahm, indessen ihn, wie er auf Ehre ver- sicherte, nie erpreßt hätte. Viele Leute fürch- ten den letzten Willen, blos des Worts letzt wegen, obgleich sie Postscripte, Codicille, und alles, so lange die Zunge nur lallen kann,
auf-
eigentlich lebte, um zu ſterben, oder eigent- lich ſtarb, und nicht lebte. Der Graf hatte zu dieſem Ruͤckhalt ſehr große Urſachen. Man muß, ſagt’ er, keinem Menſchen das Ster- ben verderben. Der Arzt, der es durch die Signa Mortis vielleicht eben ſo gut weiß, als ich, (ich ſage vielleicht; denn er weiß es vom Koͤrper, ich von der Seele,) iſt mein Mann nicht mehr, ſo bald er es ſeinem Patienten ins Ohr raunt, oder Leuten entdeckt, die der Pa- tient an den Arzt abgeſandt. Eine ſchreckliche Geſandſchaft! Meine Aerzte muͤſſen ſich der- gleichen Kunſtverraͤthereyen nicht zu Schulden kommen laſſen. Mir koͤnnen ſie zunicken, was ſie hoffen — was ſie fuͤrchten. — Das erſte, fuhr der Graf fort, was die Patienten gefragt wird, iſt: ob ſie ſchon ihren letzten Willen entworfen? ihr Haus beſtellt? und ihren Geiſt in die Hand Gottes einſchreiben laßen? Dieſe peinliche Frage, dieſes Verhoͤr, enthaͤlt den groͤßten Theil des Lebenslaufs, den der Graf gern, herzlich gern, vorn Wil- len nahm, indeſſen ihn, wie er auf Ehre ver- ſicherte, nie erpreßt haͤtte. Viele Leute fuͤrch- ten den letzten Willen, blos des Worts letzt wegen, obgleich ſie Poſtſcripte, Codicille, und alles, ſo lange die Zunge nur lallen kann,
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eigentlich lebte, um zu ſterben, oder eigent-
lich ſtarb, und nicht lebte. Der Graf hatte
zu dieſem Ruͤckhalt ſehr große Urſachen. Man
muß, ſagt’ er, keinem Menſchen das Ster-
ben verderben. Der Arzt, der es durch die
Signa Mortis vielleicht eben ſo gut weiß, als
ich, (ich ſage vielleicht; denn er weiß es vom
Koͤrper, ich von der Seele,) iſt mein Mann
nicht mehr, ſo bald er es ſeinem Patienten ins
Ohr raunt, oder Leuten entdeckt, die der Pa-
tient an den Arzt abgeſandt. Eine ſchreckliche
Geſandſchaft! Meine Aerzte muͤſſen ſich der-
gleichen Kunſtverraͤthereyen nicht zu Schulden
kommen laſſen. Mir koͤnnen ſie zunicken,
was ſie hoffen — was ſie fuͤrchten. — Das
erſte, fuhr der Graf fort, was die Patienten
gefragt wird, iſt: ob ſie ſchon ihren letzten
Willen entworfen? ihr Haus beſtellt? und
ihren Geiſt in die Hand Gottes einſchreiben
laßen? Dieſe peinliche Frage, dieſes Verhoͤr,
enthaͤlt den groͤßten Theil des Lebenslaufs,
den der Graf gern, herzlich gern, vorn Wil-
len nahm, indeſſen ihn, wie er auf Ehre ver-
ſicherte, nie erpreßt haͤtte. Viele Leute fuͤrch-
ten den letzten Willen, blos des Worts letzt
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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