Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

auf ewig. Der Ausschweifendste könnte be-
haupten, er habe nur eine einzige geliebt,
und in Wahrheit, das könnt' ihn heilen, --
wenn es sein Ernst wäre, heil zu werden.
Man liebt immer die erste Liebe, auch selbst,
wenn man am Hof' ist. In jeder neuen
Theaterprinzeßin ist wenigstens ein Zug von
der ersten Liebe. Sie ist uns ins Herz ge-
schrieben, im theologischen Sinn, -- und
beweiset, daß von Anbeginn nur ein Weib
und ein Mann gewesen. Der arme Freyer!
Es war seine erste Liebe, er heyrathete;
allein es war keine Charlotte. Die Braut
unsers Bekannten wandte sich an Charlot-
ten; denn sie hatte zu ihrem Bräutigam
mit dem abgetragenen blanken Hut kein ab-
solutes Vertrauen. -- Charlotte gab ihm
mit weinenden Augen das beste Zeugniß.
Sie küßte die Ruthe, womit sie gezüchtiget
ward. Sie küßte Luisen herzlich. -- Arme
Charlotte! Ihrem beklommenen Herzen Luft
zu machen heyrathete sie; allein, was ist
von einer Heyrath aus Verzweiflung zu er-
warten? Sie macht' ihren Mann unglück-
lich, und sie war es noch weit mehr. Sie
küßt' ihn zitternd, wie eine Taube, die den
über sich hangenden Mörder sieht, indem sie

ihren

auf ewig. Der Ausſchweifendſte koͤnnte be-
haupten, er habe nur eine einzige geliebt,
und in Wahrheit, das koͤnnt’ ihn heilen, —
wenn es ſein Ernſt waͤre, heil zu werden.
Man liebt immer die erſte Liebe, auch ſelbſt,
wenn man am Hof’ iſt. In jeder neuen
Theaterprinzeßin iſt wenigſtens ein Zug von
der erſten Liebe. Sie iſt uns ins Herz ge-
ſchrieben, im theologiſchen Sinn, — und
beweiſet, daß von Anbeginn nur ein Weib
und ein Mann geweſen. Der arme Freyer!
Es war ſeine erſte Liebe, er heyrathete;
allein es war keine Charlotte. Die Braut
unſers Bekannten wandte ſich an Charlot-
ten; denn ſie hatte zu ihrem Braͤutigam
mit dem abgetragenen blanken Hut kein ab-
ſolutes Vertrauen. — Charlotte gab ihm
mit weinenden Augen das beſte Zeugniß.
Sie kuͤßte die Ruthe, womit ſie gezuͤchtiget
ward. Sie kuͤßte Luiſen herzlich. — Arme
Charlotte! Ihrem beklommenen Herzen Luft
zu machen heyrathete ſie; allein, was iſt
von einer Heyrath aus Verzweiflung zu er-
warten? Sie macht’ ihren Mann ungluͤck-
lich, und ſie war es noch weit mehr. Sie
kuͤßt’ ihn zitternd, wie eine Taube, die den
uͤber ſich hangenden Moͤrder ſieht, indem ſie

ihren
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0099" n="93"/>
auf ewig. Der Aus&#x017F;chweifend&#x017F;te ko&#x0364;nnte be-<lb/>
haupten, er habe nur eine einzige geliebt,<lb/>
und in Wahrheit, das ko&#x0364;nnt&#x2019; ihn heilen, &#x2014;<lb/>
wenn es &#x017F;ein Ern&#x017F;t wa&#x0364;re, heil zu werden.<lb/>
Man liebt immer die er&#x017F;te Liebe, auch &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
wenn man am Hof&#x2019; i&#x017F;t. In jeder neuen<lb/>
Theaterprinzeßin i&#x017F;t wenig&#x017F;tens ein Zug von<lb/>
der er&#x017F;ten Liebe. Sie i&#x017F;t uns ins Herz ge-<lb/>
&#x017F;chrieben, im theologi&#x017F;chen Sinn, &#x2014; und<lb/>
bewei&#x017F;et, daß von Anbeginn nur ein Weib<lb/>
und ein Mann gewe&#x017F;en. Der arme Freyer!<lb/>
Es war &#x017F;eine er&#x017F;te Liebe, er heyrathete;<lb/>
allein es war keine Charlotte. Die Braut<lb/>
un&#x017F;ers Bekannten wandte &#x017F;ich an Charlot-<lb/>
ten; denn &#x017F;ie hatte zu ihrem Bra&#x0364;utigam<lb/>
mit dem abgetragenen blanken Hut kein ab-<lb/>
&#x017F;olutes Vertrauen. &#x2014; Charlotte gab ihm<lb/>
mit weinenden Augen das be&#x017F;te Zeugniß.<lb/>
Sie ku&#x0364;ßte die Ruthe, womit &#x017F;ie gezu&#x0364;chtiget<lb/>
ward. Sie ku&#x0364;ßte Lui&#x017F;en herzlich. &#x2014; Arme<lb/>
Charlotte! Ihrem beklommenen Herzen Luft<lb/>
zu machen heyrathete &#x017F;ie; allein, was i&#x017F;t<lb/>
von einer Heyrath aus Verzweiflung zu er-<lb/>
warten? Sie macht&#x2019; ihren Mann unglu&#x0364;ck-<lb/>
lich, und &#x017F;ie war es noch weit mehr. Sie<lb/>
ku&#x0364;ßt&#x2019; ihn zitternd, wie eine Taube, die den<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;ich hangenden Mo&#x0364;rder &#x017F;ieht, indem &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihren</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0099] auf ewig. Der Ausſchweifendſte koͤnnte be- haupten, er habe nur eine einzige geliebt, und in Wahrheit, das koͤnnt’ ihn heilen, — wenn es ſein Ernſt waͤre, heil zu werden. Man liebt immer die erſte Liebe, auch ſelbſt, wenn man am Hof’ iſt. In jeder neuen Theaterprinzeßin iſt wenigſtens ein Zug von der erſten Liebe. Sie iſt uns ins Herz ge- ſchrieben, im theologiſchen Sinn, — und beweiſet, daß von Anbeginn nur ein Weib und ein Mann geweſen. Der arme Freyer! Es war ſeine erſte Liebe, er heyrathete; allein es war keine Charlotte. Die Braut unſers Bekannten wandte ſich an Charlot- ten; denn ſie hatte zu ihrem Braͤutigam mit dem abgetragenen blanken Hut kein ab- ſolutes Vertrauen. — Charlotte gab ihm mit weinenden Augen das beſte Zeugniß. Sie kuͤßte die Ruthe, womit ſie gezuͤchtiget ward. Sie kuͤßte Luiſen herzlich. — Arme Charlotte! Ihrem beklommenen Herzen Luft zu machen heyrathete ſie; allein, was iſt von einer Heyrath aus Verzweiflung zu er- warten? Sie macht’ ihren Mann ungluͤck- lich, und ſie war es noch weit mehr. Sie kuͤßt’ ihn zitternd, wie eine Taube, die den uͤber ſich hangenden Moͤrder ſieht, indem ſie ihren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/99
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/99>, abgerufen am 23.11.2024.