Minens Begräbnißtag war so schön, wie ihr Sterbetag, als wenn sich diese Tage be- redet hätten, gleich schön zu seyn, und sich einander nichts nachzugeben. Schon des Morgens ward geläutet. Nachmittag gegen fünf Uhr wieder, und dies war ein Wink, daß sich ein großer Theil aus dem Dorf, Weiber und Männer, versammleten. Die meisten, nicht alle, waren schwarz gekleidet. Unter diesen zu Hauf geläuteten war auch der Orga- nist, und einige wenige Kinder.
Diese lezten stellten sich paarweise vors Hauß, und fiengen das Lied an:
Was Gott thut, das ist wohlgethan! welches die versammlete Gemeine inbrünstig mitsang.
Die Knaben und ihr Lehrer giengen dar- auf voraus, mit dem Liede:
Ich hab mein Sach Gott heim gestellt.
In der Kirche fanden sich alle Mädchen um Minchens Sarg zusammen, nicht mit Blumenkränzen. Daran dachte niemand: der Fall war zu rührend, um ihn mit Blu- men zu verderben. Sie sangen aus der Tiefe ihres Herzens, so beteten sie auch. Es hat- ten sich von freyen Stücken zwölf Mädchen gemeldet, Minens Leiche zu tragen, und zu
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Minens Begraͤbnißtag war ſo ſchoͤn, wie ihr Sterbetag, als wenn ſich dieſe Tage be- redet haͤtten, gleich ſchoͤn zu ſeyn, und ſich einander nichts nachzugeben. Schon des Morgens ward gelaͤutet. Nachmittag gegen fuͤnf Uhr wieder, und dies war ein Wink, daß ſich ein großer Theil aus dem Dorf, Weiber und Maͤnner, verſammleten. Die meiſten, nicht alle, waren ſchwarz gekleidet. Unter dieſen zu Hauf gelaͤuteten war auch der Orga- niſt, und einige wenige Kinder.
Dieſe lezten ſtellten ſich paarweiſe vors Hauß, und fiengen das Lied an:
Was Gott thut, das iſt wohlgethan! welches die verſammlete Gemeine inbruͤnſtig mitſang.
Die Knaben und ihr Lehrer giengen dar- auf voraus, mit dem Liede:
Ich hab mein Sach Gott heim geſtellt.
In der Kirche fanden ſich alle Maͤdchen um Minchens Sarg zuſammen, nicht mit Blumenkraͤnzen. Daran dachte niemand: der Fall war zu ruͤhrend, um ihn mit Blu- men zu verderben. Sie ſangen aus der Tiefe ihres Herzens, ſo beteten ſie auch. Es hat- ten ſich von freyen Stuͤcken zwoͤlf Maͤdchen gemeldet, Minens Leiche zu tragen, und zu
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Minens Begraͤbnißtag war ſo ſchoͤn, wie
ihr Sterbetag, als wenn ſich dieſe Tage be-
redet haͤtten, gleich ſchoͤn zu ſeyn, und ſich
einander nichts nachzugeben. Schon des
Morgens ward gelaͤutet. Nachmittag gegen
fuͤnf Uhr wieder, und dies war ein Wink, daß
ſich ein großer Theil aus dem Dorf, Weiber
und Maͤnner, verſammleten. Die meiſten,
nicht alle, waren ſchwarz gekleidet. Unter
dieſen zu Hauf gelaͤuteten war auch der Orga-
niſt, und einige wenige Kinder.
Dieſe lezten ſtellten ſich paarweiſe vors
Hauß, und fiengen das Lied an:
Was Gott thut, das iſt wohlgethan!
welches die verſammlete Gemeine inbruͤnſtig
mitſang.
Die Knaben und ihr Lehrer giengen dar-
auf voraus, mit dem Liede:
Ich hab mein Sach Gott heim geſtellt.
In der Kirche fanden ſich alle Maͤdchen
um Minchens Sarg zuſammen, nicht mit
Blumenkraͤnzen. Daran dachte niemand:
der Fall war zu ruͤhrend, um ihn mit Blu-
men zu verderben. Sie ſangen aus der Tiefe
ihres Herzens, ſo beteten ſie auch. Es hat-
ten ſich von freyen Stuͤcken zwoͤlf Maͤdchen
gemeldet, Minens Leiche zu tragen, und zu
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/641>, abgerufen am 23.11.2024.
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