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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Schönheit! Sie schön, wie ein Engel; Er
schön, wie ein Teufel, wenn er sich in einen
Engel des Lichts verkleidet hat. Er schwur
Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht
können wir betrogen werden, wenn es Jemand
zum Betrug anlegt, der so schön ist, wie der
Edelmann. Wer sieht immer auf die Augen-
branen? Anne sagt' auf sein Zudringen, ich
will, wenn meine Mutter will. -- Ihr Va-
ter war während der Zeit gestorben, und der
Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte
sich so betrübt gestelt, daß Anne ihres Vaters
und ihres Lieb habers wegen gleich betrübt war!
Die arme Unglückliche! Bis jezt hatt' er noch
nicht das väterliche Hauß betreten. Sein er-
sier Schritt war ins Trauerhauß! Eine schreck-
liche Vorbedeutung! -- Nun kam er, wenn
er wolte und Anne blieb zwar bei ihrem: ich
will, wenn meine Mutter will; allein sie sprach
es immer schwächer. Der Bösewicht grüßte
die Mutter nicht mit den süßen Worten: gib
mir deine Tochter! -- Er suchte die Tochter
ihrer Mutter allmählig zu entwöhnen. Die
Mutter merkte -- wie ists? fragte sie den
Edelmann: Ernst oder Scherz, Spiel oder
Ehe? -- O Anne, warum sahst du ihm nicht
in sein verruchtes Gesicht, bey dieser mütter-

lichen

Schoͤnheit! Sie ſchoͤn, wie ein Engel; Er
ſchoͤn, wie ein Teufel, wenn er ſich in einen
Engel des Lichts verkleidet hat. Er ſchwur
Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht
koͤnnen wir betrogen werden, wenn es Jemand
zum Betrug anlegt, der ſo ſchoͤn iſt, wie der
Edelmann. Wer ſieht immer auf die Augen-
branen? Anne ſagt’ auf ſein Zudringen, ich
will, wenn meine Mutter will. — Ihr Va-
ter war waͤhrend der Zeit geſtorben, und der
Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte
ſich ſo betruͤbt geſtelt, daß Anne ihres Vaters
und ihres Lieb habers wegen gleich betruͤbt war!
Die arme Ungluͤckliche! Bis jezt hatt’ er noch
nicht das vaͤterliche Hauß betreten. Sein er-
ſier Schritt war ins Trauerhauß! Eine ſchreck-
liche Vorbedeutung! — Nun kam er, wenn
er wolte und Anne blieb zwar bei ihrem: ich
will, wenn meine Mutter will; allein ſie ſprach
es immer ſchwaͤcher. Der Boͤſewicht gruͤßte
die Mutter nicht mit den ſuͤßen Worten: gib
mir deine Tochter! — Er ſuchte die Tochter
ihrer Mutter allmaͤhlig zu entwoͤhnen. Die
Mutter merkte — wie iſts? fragte ſie den
Edelmann: Ernſt oder Scherz, Spiel oder
Ehe? — O Anne, warum ſahſt du ihm nicht
in ſein verruchtes Geſicht, bey dieſer muͤtter-

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[608/0620] Schoͤnheit! Sie ſchoͤn, wie ein Engel; Er ſchoͤn, wie ein Teufel, wenn er ſich in einen Engel des Lichts verkleidet hat. Er ſchwur Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht koͤnnen wir betrogen werden, wenn es Jemand zum Betrug anlegt, der ſo ſchoͤn iſt, wie der Edelmann. Wer ſieht immer auf die Augen- branen? Anne ſagt’ auf ſein Zudringen, ich will, wenn meine Mutter will. — Ihr Va- ter war waͤhrend der Zeit geſtorben, und der Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte ſich ſo betruͤbt geſtelt, daß Anne ihres Vaters und ihres Lieb habers wegen gleich betruͤbt war! Die arme Ungluͤckliche! Bis jezt hatt’ er noch nicht das vaͤterliche Hauß betreten. Sein er- ſier Schritt war ins Trauerhauß! Eine ſchreck- liche Vorbedeutung! — Nun kam er, wenn er wolte und Anne blieb zwar bei ihrem: ich will, wenn meine Mutter will; allein ſie ſprach es immer ſchwaͤcher. Der Boͤſewicht gruͤßte die Mutter nicht mit den ſuͤßen Worten: gib mir deine Tochter! — Er ſuchte die Tochter ihrer Mutter allmaͤhlig zu entwoͤhnen. Die Mutter merkte — wie iſts? fragte ſie den Edelmann: Ernſt oder Scherz, Spiel oder Ehe? — O Anne, warum ſahſt du ihm nicht in ſein verruchtes Geſicht, bey dieſer muͤtter- lichen

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/620>, abgerufen am 28.11.2024.