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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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war ein ehrlicher Mann, und wolte nichts
mehr, allein auch nicht weniger, als ein Pre-
diger seyn. Seine Stelle war nicht die vorzüg-
lichste; indessen warf sie so viel ab, daß er le-
ben konnte, mehr, sagt' er, bedarf ich nicht.
Er hatte zwey Söhne, welche der königliche
Rath als die Seinigen in Königsberg erzog.
Gretchens Brüder giengen in eine der besten
Schulen, sie solten beyde Geistliche werden.
Unser Prediger war kein Kipper und Wipper.
Er verfälscht' und beschnitte nichts, sondern
ließ alles, wie es war, unumgeschmolzen beym
alten Schroot und Korn. -- Die Bibel, sagt
er, ist an sich schon eine lautere und vernünf-
tige Milch. Wer die Bibel anders, als aus der
Bibel erklärt, ist ein Miethling. -- Schon
seit fünf Jahren hat er an einem Werk über
die Sünde wider den heiligen Geist
gear-
beitet, woran er mich nach Minens Begräbniß
nähern Theil nehmen ließ. Er wolte seinem
Bruder eine unvermuthete Freude machen und
ihm diese Schrift zueignen. So weit ich den
Bruder kenne, konnt ihm mit einer Zuschrift
über ein Werk von der Sünde wider den hei-
ligen Geist
nicht sonderlich gedient seyn.

Seine Frau? Bey ihrer Einbildungskraft
war der Zaun gebrochen, sagte der Prediger,

und
Zweiter Th. M m

war ein ehrlicher Mann, und wolte nichts
mehr, allein auch nicht weniger, als ein Pre-
diger ſeyn. Seine Stelle war nicht die vorzuͤg-
lichſte; indeſſen warf ſie ſo viel ab, daß er le-
ben konnte, mehr, ſagt’ er, bedarf ich nicht.
Er hatte zwey Soͤhne, welche der koͤnigliche
Rath als die Seinigen in Koͤnigsberg erzog.
Gretchens Bruͤder giengen in eine der beſten
Schulen, ſie ſolten beyde Geiſtliche werden.
Unſer Prediger war kein Kipper und Wipper.
Er verfaͤlſcht’ und beſchnitte nichts, ſondern
ließ alles, wie es war, unumgeſchmolzen beym
alten Schroot und Korn. — Die Bibel, ſagt
er, iſt an ſich ſchon eine lautere und vernuͤnf-
tige Milch. Wer die Bibel anders, als aus der
Bibel erklaͤrt, iſt ein Miethling. — Schon
ſeit fuͤnf Jahren hat er an einem Werk uͤber
die Suͤnde wider den heiligen Geiſt
gear-
beitet, woran er mich nach Minens Begraͤbniß
naͤhern Theil nehmen ließ. Er wolte ſeinem
Bruder eine unvermuthete Freude machen und
ihm dieſe Schrift zueignen. So weit ich den
Bruder kenne, konnt ihm mit einer Zuſchrift
uͤber ein Werk von der Suͤnde wider den hei-
ligen Geiſt
nicht ſonderlich gedient ſeyn.

Seine Frau? Bey ihrer Einbildungskraft
war der Zaun gebrochen, ſagte der Prediger,

und
Zweiter Th. M m
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[545/0557] war ein ehrlicher Mann, und wolte nichts mehr, allein auch nicht weniger, als ein Pre- diger ſeyn. Seine Stelle war nicht die vorzuͤg- lichſte; indeſſen warf ſie ſo viel ab, daß er le- ben konnte, mehr, ſagt’ er, bedarf ich nicht. Er hatte zwey Soͤhne, welche der koͤnigliche Rath als die Seinigen in Koͤnigsberg erzog. Gretchens Bruͤder giengen in eine der beſten Schulen, ſie ſolten beyde Geiſtliche werden. Unſer Prediger war kein Kipper und Wipper. Er verfaͤlſcht’ und beſchnitte nichts, ſondern ließ alles, wie es war, unumgeſchmolzen beym alten Schroot und Korn. — Die Bibel, ſagt er, iſt an ſich ſchon eine lautere und vernuͤnf- tige Milch. Wer die Bibel anders, als aus der Bibel erklaͤrt, iſt ein Miethling. — Schon ſeit fuͤnf Jahren hat er an einem Werk uͤber die Suͤnde wider den heiligen Geiſt gear- beitet, woran er mich nach Minens Begraͤbniß naͤhern Theil nehmen ließ. Er wolte ſeinem Bruder eine unvermuthete Freude machen und ihm dieſe Schrift zueignen. So weit ich den Bruder kenne, konnt ihm mit einer Zuſchrift uͤber ein Werk von der Suͤnde wider den hei- ligen Geiſt nicht ſonderlich gedient ſeyn. Seine Frau? Bey ihrer Einbildungskraft war der Zaun gebrochen, ſagte der Prediger, und Zweiter Th. M m

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/557>, abgerufen am 22.11.2024.