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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Wir blieben zusammen. Der Prediger hielt
fürs dienlichste, mir die ganze Sache so, wie
sie war, darzustellen, und in Wahrheit, das
ist das einzige Mittel zur Beruhigung. Wenn
ein Unglücklicher die Grenzen seines Unglücks
wissen will, meßt sie ihm gleich ganz und gar
zu -- keinen Strich weniger, ihr macht ihn
sonst bey jedem neuen Zuge unglücklicher --
ihr laßt ihn einen so vielfachen Tod sterben,
als ihr Absätze, Rückhalte, und Punkte macht;
ich selbst kann zum Belage in Rücksicht dieser
Bemerkung dienen. Was der lebendige
Othem Minens gestern Abends war, das
war die Geschichte des Predigers heute Mor-
gens. -- Gretchen kam, hörte was vorgieng,
und holte mir das Depositum. Da hatt'
ich nun Minens Geist in allen Händen.
Ewig werth sind mir diese Papiere, wenn
ich sterbe, sollen sie mein Hauptküssen im
Sarge seyn. -- Das, so der Prediger be-
siegelt hatte, war das erste, welches ich las.
Aus dem versiegelten Pack wissen meine Le-
ser schon, was mir schien, als könnt es ih-
nen wissenswürdig seyn. Vieleicht ist ihnen
vieles nicht also? Verzeihung in diesem Fall,
geneigter Leser! Ich hab' es oft, nie aber so
sehr, als hier gefühlt, wie schwer es sey,

mit

Wir blieben zuſammen. Der Prediger hielt
fuͤrs dienlichſte, mir die ganze Sache ſo, wie
ſie war, darzuſtellen, und in Wahrheit, das
iſt das einzige Mittel zur Beruhigung. Wenn
ein Ungluͤcklicher die Grenzen ſeines Ungluͤcks
wiſſen will, meßt ſie ihm gleich ganz und gar
zu — keinen Strich weniger, ihr macht ihn
ſonſt bey jedem neuen Zuge ungluͤcklicher —
ihr laßt ihn einen ſo vielfachen Tod ſterben,
als ihr Abſaͤtze, Ruͤckhalte, und Punkte macht;
ich ſelbſt kann zum Belage in Ruͤckſicht dieſer
Bemerkung dienen. Was der lebendige
Othem Minens geſtern Abends war, das
war die Geſchichte des Predigers heute Mor-
gens. — Gretchen kam, hoͤrte was vorgieng,
und holte mir das Depoſitum. Da hatt’
ich nun Minens Geiſt in allen Haͤnden.
Ewig werth ſind mir dieſe Papiere, wenn
ich ſterbe, ſollen ſie mein Hauptkuͤſſen im
Sarge ſeyn. — Das, ſo der Prediger be-
ſiegelt hatte, war das erſte, welches ich las.
Aus dem verſiegelten Pack wiſſen meine Le-
ſer ſchon, was mir ſchien, als koͤnnt es ih-
nen wiſſenswuͤrdig ſeyn. Vieleicht iſt ihnen
vieles nicht alſo? Verzeihung in dieſem Fall,
geneigter Leſer! Ich hab’ es oft, nie aber ſo
ſehr, als hier gefuͤhlt, wie ſchwer es ſey,

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[526/0538] Wir blieben zuſammen. Der Prediger hielt fuͤrs dienlichſte, mir die ganze Sache ſo, wie ſie war, darzuſtellen, und in Wahrheit, das iſt das einzige Mittel zur Beruhigung. Wenn ein Ungluͤcklicher die Grenzen ſeines Ungluͤcks wiſſen will, meßt ſie ihm gleich ganz und gar zu — keinen Strich weniger, ihr macht ihn ſonſt bey jedem neuen Zuge ungluͤcklicher — ihr laßt ihn einen ſo vielfachen Tod ſterben, als ihr Abſaͤtze, Ruͤckhalte, und Punkte macht; ich ſelbſt kann zum Belage in Ruͤckſicht dieſer Bemerkung dienen. Was der lebendige Othem Minens geſtern Abends war, das war die Geſchichte des Predigers heute Mor- gens. — Gretchen kam, hoͤrte was vorgieng, und holte mir das Depoſitum. Da hatt’ ich nun Minens Geiſt in allen Haͤnden. Ewig werth ſind mir dieſe Papiere, wenn ich ſterbe, ſollen ſie mein Hauptkuͤſſen im Sarge ſeyn. — Das, ſo der Prediger be- ſiegelt hatte, war das erſte, welches ich las. Aus dem verſiegelten Pack wiſſen meine Le- ſer ſchon, was mir ſchien, als koͤnnt es ih- nen wiſſenswuͤrdig ſeyn. Vieleicht iſt ihnen vieles nicht alſo? Verzeihung in dieſem Fall, geneigter Leſer! Ich hab’ es oft, nie aber ſo ſehr, als hier gefuͤhlt, wie ſchwer es ſey, mit

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/538>, abgerufen am 23.11.2024.