Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

knaben auf, und sie nahm es sich unendlich
zu Herzen. Ich habe, sagte sie in ihrer
Unschuld zu Benjamin, den Judenknaben
nicht gesehen, und will es auch nicht. --
Der Spott zehrte sie so ab, als das Gefäng-
nis bey Wasser und Brod den Judenknaben.
Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der
alte Herr in sich, welcher mit Beyhülfe des
Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge-
leise brachte. -- Der alte Herr bemerkte,
daß sich die Liebe zur Schlittenfarth beym
Benjamin wieder gefunden, und daß Min-
chen noch bis auf den heutigen Tag bleich
im Gesicht wie gewäßerte Milch würde,
wenn man das Wort Jude ausspräche, wie --
(Der Herr Candidat legte seine Pfeife hin, und
kam mir dicht ans Ohr, da er mir diese Pille
eingab)

ihr Herr Vater über den Ausdruck Melchi-
sedech
.

Diese Zugabe setzte mich nicht wenig in
Erstaunen, und ich machte die Bemerkung,
daß jeder Mensch, der unschuldigste nicht
ausgenommen, ein Wort hätte, wobey ihm
nicht wohl zu Muth' würde, es sey Melchi-
sedech -- Judenjunge -- ich zum Exem-
pel -- -- --

Gott!

knaben auf, und ſie nahm es ſich unendlich
zu Herzen. Ich habe, ſagte ſie in ihrer
Unſchuld zu Benjamin, den Judenknaben
nicht geſehen, und will es auch nicht. —
Der Spott zehrte ſie ſo ab, als das Gefaͤng-
nis bey Waſſer und Brod den Judenknaben.
Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der
alte Herr in ſich, welcher mit Beyhuͤlfe des
Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge-
leiſe brachte. — Der alte Herr bemerkte,
daß ſich die Liebe zur Schlittenfarth beym
Benjamin wieder gefunden, und daß Min-
chen noch bis auf den heutigen Tag bleich
im Geſicht wie gewaͤßerte Milch wuͤrde,
wenn man das Wort Jude ausſpraͤche, wie —
(Der Herr Candidat legte ſeine Pfeife hin, und
kam mir dicht ans Ohr, da er mir dieſe Pille
eingab)

ihr Herr Vater uͤber den Ausdruck Melchi-
ſedech
.

Dieſe Zugabe ſetzte mich nicht wenig in
Erſtaunen, und ich machte die Bemerkung,
daß jeder Menſch, der unſchuldigſte nicht
ausgenommen, ein Wort haͤtte, wobey ihm
nicht wohl zu Muth’ wuͤrde, es ſey Melchi-
ſedech — Judenjunge — ich zum Exem-
pel — — —

Gott!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="46"/>
knaben auf, und &#x017F;ie nahm es &#x017F;ich unendlich<lb/>
zu Herzen. Ich habe, &#x017F;agte &#x017F;ie in ihrer<lb/>
Un&#x017F;chuld zu Benjamin, den Judenknaben<lb/>
nicht ge&#x017F;ehen, und will es auch nicht. &#x2014;<lb/>
Der Spott zehrte &#x017F;ie &#x017F;o ab, als das Gefa&#x0364;ng-<lb/>
nis bey Wa&#x017F;&#x017F;er und Brod den Judenknaben.<lb/>
Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der<lb/>
alte Herr in &#x017F;ich, welcher mit Beyhu&#x0364;lfe des<lb/>
Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge-<lb/>
lei&#x017F;e brachte. &#x2014; Der alte Herr bemerkte,<lb/>
daß &#x017F;ich die Liebe zur Schlittenfarth beym<lb/>
Benjamin wieder gefunden, und daß Min-<lb/>
chen noch bis auf den heutigen Tag bleich<lb/>
im Ge&#x017F;icht wie gewa&#x0364;ßerte Milch wu&#x0364;rde,<lb/>
wenn man das Wort Jude aus&#x017F;pra&#x0364;che, wie &#x2014;<lb/><hi rendition="#et">(Der Herr Candidat legte &#x017F;eine Pfeife hin, und<lb/>
kam mir dicht ans Ohr, da er mir die&#x017F;e Pille<lb/>
eingab)</hi><lb/>
ihr Herr Vater u&#x0364;ber den Ausdruck <hi rendition="#fr">Melchi-<lb/>
&#x017F;edech</hi>.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Zugabe &#x017F;etzte mich nicht wenig in<lb/>
Er&#x017F;taunen, und ich machte die Bemerkung,<lb/>
daß jeder Men&#x017F;ch, der un&#x017F;chuldig&#x017F;te nicht<lb/>
ausgenommen, ein Wort ha&#x0364;tte, wobey ihm<lb/>
nicht wohl zu Muth&#x2019; wu&#x0364;rde, es &#x017F;ey Melchi-<lb/>
&#x017F;edech &#x2014; Judenjunge &#x2014; ich zum Exem-<lb/>
pel &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Gott!</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0052] knaben auf, und ſie nahm es ſich unendlich zu Herzen. Ich habe, ſagte ſie in ihrer Unſchuld zu Benjamin, den Judenknaben nicht geſehen, und will es auch nicht. — Der Spott zehrte ſie ſo ab, als das Gefaͤng- nis bey Waſſer und Brod den Judenknaben. Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der alte Herr in ſich, welcher mit Beyhuͤlfe des Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge- leiſe brachte. — Der alte Herr bemerkte, daß ſich die Liebe zur Schlittenfarth beym Benjamin wieder gefunden, und daß Min- chen noch bis auf den heutigen Tag bleich im Geſicht wie gewaͤßerte Milch wuͤrde, wenn man das Wort Jude ausſpraͤche, wie — (Der Herr Candidat legte ſeine Pfeife hin, und kam mir dicht ans Ohr, da er mir dieſe Pille eingab) ihr Herr Vater uͤber den Ausdruck Melchi- ſedech. Dieſe Zugabe ſetzte mich nicht wenig in Erſtaunen, und ich machte die Bemerkung, daß jeder Menſch, der unſchuldigſte nicht ausgenommen, ein Wort haͤtte, wobey ihm nicht wohl zu Muth’ wuͤrde, es ſey Melchi- ſedech — Judenjunge — ich zum Exem- pel — — — Gott!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/52
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/52>, abgerufen am 23.11.2024.