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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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werden konnte. Dies war freylich mein Fall
nicht mit Minchen. Ich hatt' ihre Kinder-
jahre nicht zu diesem Belag in beweisender
Form nöthig; allein ich war entzückt, meine
Vorstellungen von den ersten Jahren ihres
Lebens so genau getroffen zu finden; ich fand
alles, wie ich's mir gedacht hatte.

Noch eins von Minchen unter so vielem.
Ein benachbarter von Adel hatt' einen kleinen
jüdischen Knaben, der mit Pfeifenköpfen für
andre Juden herumgieng, in Fesseln legen
lassen, weil er eben zu der Zeit, da dieser
Judenknabe ihm Pfeifenköpfe angebothen,
sein Federmesser nicht vorfinden konnte. Der
Knabe ward gleich bis aufs Hemde ausge-
zogen; allein man entdeckte kein Federmesser,
ob gleich er noch keinen Tritt oder halben
Schritt aus dem adlichen Hofe seit der Zeit
gesetzet hatte, da das Messer vermißt war.
Der Edelmann behielte zu Anfang wohlbe-
dächtig alle Pfeifenköpfe. Da sich die zwey
Eigenthümer zur rechtlichen Vindication an-
gaben, macht' er ihnen viele Schwierigkeiten
und setzt' auf das verlohrne Messer einen uner-
hörten Lieblingswerth. (Pretium affectionis)
Es würden die Vindicanten nichts dagegen
ausgerichtet haben, wenn sich nicht zwey an-

dre

werden konnte. Dies war freylich mein Fall
nicht mit Minchen. Ich hatt’ ihre Kinder-
jahre nicht zu dieſem Belag in beweiſender
Form noͤthig; allein ich war entzuͤckt, meine
Vorſtellungen von den erſten Jahren ihres
Lebens ſo genau getroffen zu finden; ich fand
alles, wie ich’s mir gedacht hatte.

Noch eins von Minchen unter ſo vielem.
Ein benachbarter von Adel hatt’ einen kleinen
juͤdiſchen Knaben, der mit Pfeifenkoͤpfen fuͤr
andre Juden herumgieng, in Feſſeln legen
laſſen, weil er eben zu der Zeit, da dieſer
Judenknabe ihm Pfeifenkoͤpfe angebothen,
ſein Federmeſſer nicht vorfinden konnte. Der
Knabe ward gleich bis aufs Hemde ausge-
zogen; allein man entdeckte kein Federmeſſer,
ob gleich er noch keinen Tritt oder halben
Schritt aus dem adlichen Hofe ſeit der Zeit
geſetzet hatte, da das Meſſer vermißt war.
Der Edelmann behielte zu Anfang wohlbe-
daͤchtig alle Pfeifenkoͤpfe. Da ſich die zwey
Eigenthuͤmer zur rechtlichen Vindication an-
gaben, macht’ er ihnen viele Schwierigkeiten
und ſetzt’ auf das verlohrne Meſſer einen uner-
hoͤrten Lieblingswerth. (Pretium affectionis)
Es wuͤrden die Vindicanten nichts dagegen
ausgerichtet haben, wenn ſich nicht zwey an-

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[38/0044] werden konnte. Dies war freylich mein Fall nicht mit Minchen. Ich hatt’ ihre Kinder- jahre nicht zu dieſem Belag in beweiſender Form noͤthig; allein ich war entzuͤckt, meine Vorſtellungen von den erſten Jahren ihres Lebens ſo genau getroffen zu finden; ich fand alles, wie ich’s mir gedacht hatte. Noch eins von Minchen unter ſo vielem. Ein benachbarter von Adel hatt’ einen kleinen juͤdiſchen Knaben, der mit Pfeifenkoͤpfen fuͤr andre Juden herumgieng, in Feſſeln legen laſſen, weil er eben zu der Zeit, da dieſer Judenknabe ihm Pfeifenkoͤpfe angebothen, ſein Federmeſſer nicht vorfinden konnte. Der Knabe ward gleich bis aufs Hemde ausge- zogen; allein man entdeckte kein Federmeſſer, ob gleich er noch keinen Tritt oder halben Schritt aus dem adlichen Hofe ſeit der Zeit geſetzet hatte, da das Meſſer vermißt war. Der Edelmann behielte zu Anfang wohlbe- daͤchtig alle Pfeifenkoͤpfe. Da ſich die zwey Eigenthuͤmer zur rechtlichen Vindication an- gaben, macht’ er ihnen viele Schwierigkeiten und ſetzt’ auf das verlohrne Meſſer einen uner- hoͤrten Lieblingswerth. (Pretium affectionis) Es wuͤrden die Vindicanten nichts dagegen ausgerichtet haben, wenn ſich nicht zwey an- dre

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/44>, abgerufen am 29.03.2024.