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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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"keinen bittern Augenblick. -- Keinen ein-
"zigen ist der verlassen, der auf Gottes We-
"gen geht! Wenn mir einfält, wo Brod in
"der Wüsten? bild ich mir ein, wenn ich kein
"Brod habe, werd' ich auch keinen Hunger
"haben, und das ist jetzt mein unaufhörliches
"Denken, so lang ich bey der Leiche bin --
"und denn noch ein großer über alle maaßen
"wichtiger Gedank' ist mein: bald wird mich
"gar nicht mehr hungern und dürsten --
"und nicht mehr auf mich fallen Fröste des
"Schrecks, und keine Flamme der Anfechtung
"mich mehr ergreifen. Ich fühl' es, Gelieb-
"ter, innerlich, obgleich mir äußerlich nichts
"anzusehen ist, es werde bald Amen mit mir
"seyn. -- Glaub mir, ich bin mehr dort,
"wie hier; ich sehne mich nach meiner rech-
"ten Behausung! denn kann ich nicht mit
"Wahrheit sagen: Ich habe hier keine blei-
"bende Statt gefunden, sondern die zukünf-
"tige such' ich. -- Bald! bald! wird man
"einen Todten heraustragen. -- Was solt'
"ich mich also grämen, und wider Gott mur-
"ren, der den Himmel ausbreitete und die
"Erde gründete, und so groß er ist, doch auch
"meinen Schmerz wog, warum solt ich mur-
"ren, und über die klagen, die den Nach-

"laß

„keinen bittern Augenblick. — Keinen ein-
„zigen iſt der verlaſſen, der auf Gottes We-
„gen geht! Wenn mir einfaͤlt, wo Brod in
„der Wuͤſten? bild ich mir ein, wenn ich kein
„Brod habe, werd’ ich auch keinen Hunger
„haben, und das iſt jetzt mein unaufhoͤrliches
„Denken, ſo lang ich bey der Leiche bin —
„und denn noch ein großer uͤber alle maaßen
„wichtiger Gedank’ iſt mein: bald wird mich
„gar nicht mehr hungern und duͤrſten —
„und nicht mehr auf mich fallen Froͤſte des
„Schrecks, und keine Flamme der Anfechtung
„mich mehr ergreifen. Ich fuͤhl’ es, Gelieb-
„ter, innerlich, obgleich mir aͤußerlich nichts
„anzuſehen iſt, es werde bald Amen mit mir
„ſeyn. — Glaub mir, ich bin mehr dort,
„wie hier; ich ſehne mich nach meiner rech-
„ten Behauſung! denn kann ich nicht mit
„Wahrheit ſagen: Ich habe hier keine blei-
„bende Statt gefunden, ſondern die zukuͤnf-
„tige ſuch’ ich. — Bald! bald! wird man
„einen Todten heraustragen. — Was ſolt’
„ich mich alſo graͤmen, und wider Gott mur-
„ren, der den Himmel ausbreitete und die
„Erde gruͤndete, und ſo groß er iſt, doch auch
„meinen Schmerz wog, warum ſolt ich mur-
„ren, und uͤber die klagen, die den Nach-

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[410/0420] „keinen bittern Augenblick. — Keinen ein- „zigen iſt der verlaſſen, der auf Gottes We- „gen geht! Wenn mir einfaͤlt, wo Brod in „der Wuͤſten? bild ich mir ein, wenn ich kein „Brod habe, werd’ ich auch keinen Hunger „haben, und das iſt jetzt mein unaufhoͤrliches „Denken, ſo lang ich bey der Leiche bin — „und denn noch ein großer uͤber alle maaßen „wichtiger Gedank’ iſt mein: bald wird mich „gar nicht mehr hungern und duͤrſten — „und nicht mehr auf mich fallen Froͤſte des „Schrecks, und keine Flamme der Anfechtung „mich mehr ergreifen. Ich fuͤhl’ es, Gelieb- „ter, innerlich, obgleich mir aͤußerlich nichts „anzuſehen iſt, es werde bald Amen mit mir „ſeyn. — Glaub mir, ich bin mehr dort, „wie hier; ich ſehne mich nach meiner rech- „ten Behauſung! denn kann ich nicht mit „Wahrheit ſagen: Ich habe hier keine blei- „bende Statt gefunden, ſondern die zukuͤnf- „tige ſuch’ ich. — Bald! bald! wird man „einen Todten heraustragen. — Was ſolt’ „ich mich alſo graͤmen, und wider Gott mur- „ren, der den Himmel ausbreitete und die „Erde gruͤndete, und ſo groß er iſt, doch auch „meinen Schmerz wog, warum ſolt ich mur- „ren, und uͤber die klagen, die den Nach- „laß

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/420>, abgerufen am 22.11.2024.