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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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"Die Pastorin nennt mich eine Verfüh-
"rerin! Könnt' ich es nicht werden? Und
"unter welchem Namen solt ich? Unter wes-
"sen Schutz? Was würden seine Bekannten
"von mir denken? von ihm sagen? wie und
"wo soll er mich sehen?" Mine, die über-
all auf Gottes Wegen gieng, hatte schon der
Majorin gesagt, daß sie keinen Verwandten
in Königsberg hätte, und daß sie nach L --
wolte. Es war schon unterwegs abgemacht,
daß man sie dorthin senden würde. Eine ge-
wisse fräuliche Delikatesse, die, wenn sie
Schwäche wäre, selbst unserm Geschlecht,
angenehmer als Stärk' ist, gab jedem Ge-
danken Nachdruck --

"Könnte man nicht denken, ich wäre sei-
"netwegen? -- Er kann und wird mich se-
"hen, im Schoos meiner Verwandten -- und
"sterb' ich -- in der seligen Ewigkeit! --"

Kurz, es ward beschlossen, nach L --.
Der Herr Major sagte: Frau, solch ein Frauen-
zimmer hast du noch nicht gesehen, und die
Frau Majorin that mir die Ehre, Notabene
nachdem mein Andenken bey ihr aufgefrischt
war, bey dieser Gelegenheit zu bemerken, daß
sie solch einen jungen Herrn, als mich, so
leicht nicht gesehen hätte. Mine schreibt:

"dies

„Die Paſtorin nennt mich eine Verfuͤh-
„rerin! Koͤnnt’ ich es nicht werden? Und
„unter welchem Namen ſolt ich? Unter weſ-
„ſen Schutz? Was wuͤrden ſeine Bekannten
„von mir denken? von ihm ſagen? wie und
„wo ſoll er mich ſehen?” Mine, die uͤber-
all auf Gottes Wegen gieng, hatte ſchon der
Majorin geſagt, daß ſie keinen Verwandten
in Koͤnigsberg haͤtte, und daß ſie nach L —
wolte. Es war ſchon unterwegs abgemacht,
daß man ſie dorthin ſenden wuͤrde. Eine ge-
wiſſe fraͤuliche Delikateſſe, die, wenn ſie
Schwaͤche waͤre, ſelbſt unſerm Geſchlecht,
angenehmer als Staͤrk’ iſt, gab jedem Ge-
danken Nachdruck —

„Koͤnnte man nicht denken, ich waͤre ſei-
„netwegen? — Er kann und wird mich ſe-
„hen, im Schoos meiner Verwandten — und
„ſterb’ ich — in der ſeligen Ewigkeit! —”

Kurz, es ward beſchloſſen, nach L —.
Der Herr Major ſagte: Frau, ſolch ein Frauen-
zimmer haſt du noch nicht geſehen, und die
Frau Majorin that mir die Ehre, Notabene
nachdem mein Andenken bey ihr aufgefriſcht
war, bey dieſer Gelegenheit zu bemerken, daß
ſie ſolch einen jungen Herrn, als mich, ſo
leicht nicht geſehen haͤtte. Mine ſchreibt:

„dies
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[404/0414] „Die Paſtorin nennt mich eine Verfuͤh- „rerin! Koͤnnt’ ich es nicht werden? Und „unter welchem Namen ſolt ich? Unter weſ- „ſen Schutz? Was wuͤrden ſeine Bekannten „von mir denken? von ihm ſagen? wie und „wo ſoll er mich ſehen?” Mine, die uͤber- all auf Gottes Wegen gieng, hatte ſchon der Majorin geſagt, daß ſie keinen Verwandten in Koͤnigsberg haͤtte, und daß ſie nach L — wolte. Es war ſchon unterwegs abgemacht, daß man ſie dorthin ſenden wuͤrde. Eine ge- wiſſe fraͤuliche Delikateſſe, die, wenn ſie Schwaͤche waͤre, ſelbſt unſerm Geſchlecht, angenehmer als Staͤrk’ iſt, gab jedem Ge- danken Nachdruck — „Koͤnnte man nicht denken, ich waͤre ſei- „netwegen? — Er kann und wird mich ſe- „hen, im Schoos meiner Verwandten — und „ſterb’ ich — in der ſeligen Ewigkeit! —” Kurz, es ward beſchloſſen, nach L —. Der Herr Major ſagte: Frau, ſolch ein Frauen- zimmer haſt du noch nicht geſehen, und die Frau Majorin that mir die Ehre, Notabene nachdem mein Andenken bey ihr aufgefriſcht war, bey dieſer Gelegenheit zu bemerken, daß ſie ſolch einen jungen Herrn, als mich, ſo leicht nicht geſehen haͤtte. Mine ſchreibt: „dies

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/414>, abgerufen am 22.11.2024.