bat ihm sterbend ab, und er ihr, und alle, die Messer und Scheer verschlossen hatten, verlangten ihren Segen. --
Vergib mir, sagte sie zu ihrem Manne, es wird dir alles im Himmel gelohnt werden. Am Grab' endet sich alles Elend, aller Kum- mer. -- Dort wird das Buch meines Schick- sals aufgethan, damit ich les' und verstehe, was hier kein weiser Mann zu erklären wuß- te. Alle Finsterniß wird dort Licht seyn. O! wie froh werd ich seyn, den Zusammenhang meines Lebens kennen zu lernen. -- Ihr Mann rang die Hände, und wenn sie ihm abbat, weint' er bitterlich. -- Ehe sie ihr edles Auge schloß, sah sie sich rund herum. Bey ihrem Manne ließ sie das Auge etwas ruhen, und nachdem sie diesen Lauf vollen- det, sah sie gen Himmel und ihr Auge schloß sich, als wenn man müd' ist, von selbst. Es durfte nicht zugedrückt werden. -- Sie ent- schlief. -- Wahrlich! wahrlich! sie starb in einer seligen Stunde. -- Ihr Liebling, der Sohn unsers Bekannten, spielt' oft auf ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens, Dornen und Disteln, entehrte, obgleich es rund herum stand. Es schien, als ob Dor- nen und Disteln Achtung für das Grab un-
serer
bat ihm ſterbend ab, und er ihr, und alle, die Meſſer und Scheer verſchloſſen hatten, verlangten ihren Segen. —
Vergib mir, ſagte ſie zu ihrem Manne, es wird dir alles im Himmel gelohnt werden. Am Grab’ endet ſich alles Elend, aller Kum- mer. — Dort wird das Buch meines Schick- ſals aufgethan, damit ich leſ’ und verſtehe, was hier kein weiſer Mann zu erklaͤren wuß- te. Alle Finſterniß wird dort Licht ſeyn. O! wie froh werd ich ſeyn, den Zuſammenhang meines Lebens kennen zu lernen. — Ihr Mann rang die Haͤnde, und wenn ſie ihm abbat, weint’ er bitterlich. — Ehe ſie ihr edles Auge ſchloß, ſah ſie ſich rund herum. Bey ihrem Manne ließ ſie das Auge etwas ruhen, und nachdem ſie dieſen Lauf vollen- det, ſah ſie gen Himmel und ihr Auge ſchloß ſich, als wenn man muͤd’ iſt, von ſelbſt. Es durfte nicht zugedruͤckt werden. — Sie ent- ſchlief. — Wahrlich! wahrlich! ſie ſtarb in einer ſeligen Stunde. — Ihr Liebling, der Sohn unſers Bekannten, ſpielt’ oft auf ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens, Dornen und Diſteln, entehrte, obgleich es rund herum ſtand. Es ſchien, als ob Dor- nen und Diſteln Achtung fuͤr das Grab un-
ſerer
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0102"n="96"/>
bat ihm ſterbend ab, und er ihr, und alle,<lb/>
die Meſſer und Scheer verſchloſſen hatten,<lb/>
verlangten ihren Segen. —</p><lb/><p>Vergib mir, ſagte ſie zu ihrem Manne,<lb/>
es wird dir alles im Himmel gelohnt werden.<lb/>
Am Grab’ endet ſich alles Elend, aller Kum-<lb/>
mer. — Dort wird das Buch meines Schick-<lb/>ſals aufgethan, damit ich leſ’ und verſtehe,<lb/>
was hier kein weiſer Mann zu erklaͤren wuß-<lb/>
te. Alle Finſterniß wird dort Licht ſeyn. O!<lb/>
wie froh werd ich ſeyn, den Zuſammenhang<lb/>
meines Lebens kennen zu lernen. — Ihr<lb/>
Mann rang die Haͤnde, und wenn ſie ihm<lb/>
abbat, weint’ er bitterlich. — Ehe ſie ihr<lb/>
edles Auge ſchloß, ſah ſie ſich rund herum.<lb/>
Bey ihrem Manne ließ ſie das Auge etwas<lb/>
ruhen, und nachdem ſie dieſen Lauf vollen-<lb/>
det, ſah ſie gen Himmel und ihr Auge ſchloß<lb/>ſich, als wenn man muͤd’ iſt, von ſelbſt. Es<lb/>
durfte nicht zugedruͤckt werden. — Sie ent-<lb/>ſchlief. — Wahrlich! wahrlich! ſie ſtarb in<lb/>
einer ſeligen Stunde. — Ihr Liebling, der<lb/>
Sohn unſers Bekannten, ſpielt’ oft auf<lb/>
ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens,<lb/>
Dornen und Diſteln, entehrte, obgleich es<lb/>
rund herum ſtand. Es ſchien, als ob Dor-<lb/>
nen und Diſteln Achtung fuͤr das Grab un-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſerer</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[96/0102]
bat ihm ſterbend ab, und er ihr, und alle,
die Meſſer und Scheer verſchloſſen hatten,
verlangten ihren Segen. —
Vergib mir, ſagte ſie zu ihrem Manne,
es wird dir alles im Himmel gelohnt werden.
Am Grab’ endet ſich alles Elend, aller Kum-
mer. — Dort wird das Buch meines Schick-
ſals aufgethan, damit ich leſ’ und verſtehe,
was hier kein weiſer Mann zu erklaͤren wuß-
te. Alle Finſterniß wird dort Licht ſeyn. O!
wie froh werd ich ſeyn, den Zuſammenhang
meines Lebens kennen zu lernen. — Ihr
Mann rang die Haͤnde, und wenn ſie ihm
abbat, weint’ er bitterlich. — Ehe ſie ihr
edles Auge ſchloß, ſah ſie ſich rund herum.
Bey ihrem Manne ließ ſie das Auge etwas
ruhen, und nachdem ſie dieſen Lauf vollen-
det, ſah ſie gen Himmel und ihr Auge ſchloß
ſich, als wenn man muͤd’ iſt, von ſelbſt. Es
durfte nicht zugedruͤckt werden. — Sie ent-
ſchlief. — Wahrlich! wahrlich! ſie ſtarb in
einer ſeligen Stunde. — Ihr Liebling, der
Sohn unſers Bekannten, ſpielt’ oft auf
ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens,
Dornen und Diſteln, entehrte, obgleich es
rund herum ſtand. Es ſchien, als ob Dor-
nen und Diſteln Achtung fuͤr das Grab un-
ſerer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/102>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.