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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Das Frauenzimmer. Seit der letzten Nach-
tigal im Garten ist ihr jeder Vogel eine Nach-
tigal. Ew. Gnaden waren so gnädig zu sa-
gen, Mensch ist Mensch, aber Vogel ist
nicht Vogel. --
Kleine. Wie sie den Vogel verfolgt! da
hören Sie selbst, gnädige Mutter!
Frau v. W. Kind, du hast eine Seele --
Kleine. Die Ihrige, liebe Mutter!
Frau v. W. Gott segne dich. --
Kleine. Auch Sie! liebe Mutter, auch
Sie reichlich und täglich!
Frau v. W. Aber, was meinst du, Kleine!
Des Jungen wegen solst du Lieschen Recht
geben. Sah er dir denn so bös aus, daß er
eine Nachtigal dem lieben Gott stehlen
könnte?
Kleine. Bös wol, aber freylich so bös
nicht. --
Frau v. W. Ich denck, Judas der Ver-
räther hat in seiner Jugend die erste gefan-
gen. --
Kleine. Lieschen hat recht -- ich unrecht!
es war keine Nachtigal.
Frau v. W. Also hat Lieschen recht?
Kleine. Recht! und ich unrecht, ein so be-
trübtes Vögelchen als eine Nachtigal! o!
wer
Das Frauenzimmer. Seit der letzten Nach-
tigal im Garten iſt ihr jeder Vogel eine Nach-
tigal. Ew. Gnaden waren ſo gnaͤdig zu ſa-
gen, Menſch iſt Menſch, aber Vogel iſt
nicht Vogel. —
Kleine. Wie ſie den Vogel verfolgt! da
hoͤren Sie ſelbſt, gnaͤdige Mutter!
Frau v. W. Kind, du haſt eine Seele —
Kleine. Die Ihrige, liebe Mutter!
Frau v. W. Gott ſegne dich. —
Kleine. Auch Sie! liebe Mutter, auch
Sie reichlich und taͤglich!
Frau v. W. Aber, was meinſt du, Kleine!
Des Jungen wegen ſolſt du Lieschen Recht
geben. Sah er dir denn ſo boͤs aus, daß er
eine Nachtigal dem lieben Gott ſtehlen
koͤnnte?
Kleine. Boͤs wol, aber freylich ſo boͤs
nicht. —
Frau v. W. Ich denck, Judas der Ver-
raͤther hat in ſeiner Jugend die erſte gefan-
gen. —
Kleine. Lieschen hat recht — ich unrecht!
es war keine Nachtigal.
Frau v. W. Alſo hat Lieschen recht?
Kleine. Recht! und ich unrecht, ein ſo be-
truͤbtes Voͤgelchen als eine Nachtigal! o!
wer
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[454/0466] Das Frauenzimmer. Seit der letzten Nach- tigal im Garten iſt ihr jeder Vogel eine Nach- tigal. Ew. Gnaden waren ſo gnaͤdig zu ſa- gen, Menſch iſt Menſch, aber Vogel iſt nicht Vogel. — Kleine. Wie ſie den Vogel verfolgt! da hoͤren Sie ſelbſt, gnaͤdige Mutter! Frau v. W. Kind, du haſt eine Seele — Kleine. Die Ihrige, liebe Mutter! Frau v. W. Gott ſegne dich. — Kleine. Auch Sie! liebe Mutter, auch Sie reichlich und taͤglich! Frau v. W. Aber, was meinſt du, Kleine! Des Jungen wegen ſolſt du Lieschen Recht geben. Sah er dir denn ſo boͤs aus, daß er eine Nachtigal dem lieben Gott ſtehlen koͤnnte? Kleine. Boͤs wol, aber freylich ſo boͤs nicht. — Frau v. W. Ich denck, Judas der Ver- raͤther hat in ſeiner Jugend die erſte gefan- gen. — Kleine. Lieschen hat recht — ich unrecht! es war keine Nachtigal. Frau v. W. Alſo hat Lieschen recht? Kleine. Recht! und ich unrecht, ein ſo be- truͤbtes Voͤgelchen als eine Nachtigal! o! wer

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/466>, abgerufen am 22.11.2024.