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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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den sie uns unnatürlich. Wir wollen uns
nicht betrincken, sondern nur trincken --
Herr v. G. Aber, Pastor, wie kommts,
daß die liebe Jugend so sehr auf Tragödien
hält, das Alter auf Comödien?
Pastor. Die Alten laßen der Jugend nicht
die Maschinen sehen, durch welche die Oper
der Welt gespielt wird. Um sich selbst bey
ihr im Ansehen zu erhalten, müßen sie vieles
bey Ehren laßen. Ein jedes Mädchen ist dem
jungen Menschen eine verwünschte Prinzeßin,
und er glaubt sie vom feuerspeyenden Drachen
zu erlösen, sie zu entzaubern, wenn er sie
heyrathet. Er sieht Vorfälle in der Welt;
allein er sieht sie nicht in Verbindung.
Herr v. G. Wie ich jung war, dacht ich,
wie schwer muß es fallen, Herzog zu seyn;
allein jetzt, man mache mich heute zum Kay-
ser und ich wette, ich will Kayser seyn, wie
irgend einer. Sie haben recht, Pastor! Die
Jugend fliegt, macht sich tausend Chimären.
Sie kennt die Menschen zu wenig, drum setzt
sie alles in Feu'r und Flammen.
Pastor. Wer blos zusieht, findet Gaucke-
leyen unerträglich. Wer mit agirt, dem ist
der Hanswurst ein allergnädigst privilegir-
ter
Witzling, eine bedeutende Staatsperson,
und
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den ſie uns unnatuͤrlich. Wir wollen uns
nicht betrincken, ſondern nur trincken —
Herr v. G. Aber, Paſtor, wie kommts,
daß die liebe Jugend ſo ſehr auf Tragoͤdien
haͤlt, das Alter auf Comoͤdien?
Paſtor. Die Alten laßen der Jugend nicht
die Maſchinen ſehen, durch welche die Oper
der Welt geſpielt wird. Um ſich ſelbſt bey
ihr im Anſehen zu erhalten, muͤßen ſie vieles
bey Ehren laßen. Ein jedes Maͤdchen iſt dem
jungen Menſchen eine verwuͤnſchte Prinzeßin,
und er glaubt ſie vom feuerſpeyenden Drachen
zu erloͤſen, ſie zu entzaubern, wenn er ſie
heyrathet. Er ſieht Vorfaͤlle in der Welt;
allein er ſieht ſie nicht in Verbindung.
Herr v. G. Wie ich jung war, dacht ich,
wie ſchwer muß es fallen, Herzog zu ſeyn;
allein jetzt, man mache mich heute zum Kay-
ſer und ich wette, ich will Kayſer ſeyn, wie
irgend einer. Sie haben recht, Paſtor! Die
Jugend fliegt, macht ſich tauſend Chimaͤren.
Sie kennt die Menſchen zu wenig, drum ſetzt
ſie alles in Feu’r und Flammen.
Paſtor. Wer blos zuſieht, findet Gaucke-
leyen unertraͤglich. Wer mit agirt, dem iſt
der Hanswurſt ein allergnaͤdigſt privilegir-
ter
Witzling, eine bedeutende Staatsperſon,
und
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[415/0427] den ſie uns unnatuͤrlich. Wir wollen uns nicht betrincken, ſondern nur trincken — Herr v. G. Aber, Paſtor, wie kommts, daß die liebe Jugend ſo ſehr auf Tragoͤdien haͤlt, das Alter auf Comoͤdien? Paſtor. Die Alten laßen der Jugend nicht die Maſchinen ſehen, durch welche die Oper der Welt geſpielt wird. Um ſich ſelbſt bey ihr im Anſehen zu erhalten, muͤßen ſie vieles bey Ehren laßen. Ein jedes Maͤdchen iſt dem jungen Menſchen eine verwuͤnſchte Prinzeßin, und er glaubt ſie vom feuerſpeyenden Drachen zu erloͤſen, ſie zu entzaubern, wenn er ſie heyrathet. Er ſieht Vorfaͤlle in der Welt; allein er ſieht ſie nicht in Verbindung. Herr v. G. Wie ich jung war, dacht ich, wie ſchwer muß es fallen, Herzog zu ſeyn; allein jetzt, man mache mich heute zum Kay- ſer und ich wette, ich will Kayſer ſeyn, wie irgend einer. Sie haben recht, Paſtor! Die Jugend fliegt, macht ſich tauſend Chimaͤren. Sie kennt die Menſchen zu wenig, drum ſetzt ſie alles in Feu’r und Flammen. Paſtor. Wer blos zuſieht, findet Gaucke- leyen unertraͤglich. Wer mit agirt, dem iſt der Hanswurſt ein allergnaͤdigſt privilegir- ter Witzling, eine bedeutende Staatsperſon, und D d

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/427>, abgerufen am 02.09.2024.