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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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ber Herr Pastor? ich hab' schon zehn Jahre
auf Sie gewartet, sagte der Herr v. G --
und mein Vater wie aus der Pistole: eben so
lange, einen halben Tag, den ich zur Reise
nöthig hatte, abgerechnet, hab ich Ew. Hoch-
wohlgebohrnen Briefe entgegen gesehen. Hier
eine Umarmung, und von der Frau v. G --
ein tiefer Knicks, vom jungen Herrn ein
rußischer, und von seinem Hofmeister ein fran-
zösischer Bückling -- und zwar so durchein-
ander, daß Niemand wußte, wem eigentlich
die Verbeugung oder Scharrfuß gelten solte.
Nach diesem Zeichen der Wiedergeburt einer
seit zehn Jahren verfallenen Freundschaft,
hätte man glauben sollen, es wäre zwischen
Sr. Hochwohlgebohrnen und Sr. Wohlehr-
würden alles berichtiget; allein, es gieng
diesen beyden Leuten so wie Richtern, die
sich zwar geeinigt haben, wer von beyden
Kläger oder Beklagter, gewinnen oder verlie-
ren soll? nachhero aber über die Entschei-
dungsgründe und die Gegengründe die Köpfe
schütteln, und zuweilen an einander stoßen,
um ein Urtheil zu formen. Alle Augenblick
war ein Knoten, den keiner von beyden lösen
konnte, den aber auch keiner von beyden so
geradezu spalten wolte. Ich muß gestehen,

daß

ber Herr Paſtor? ich hab’ ſchon zehn Jahre
auf Sie gewartet, ſagte der Herr v. G —
und mein Vater wie aus der Piſtole: eben ſo
lange, einen halben Tag, den ich zur Reiſe
noͤthig hatte, abgerechnet, hab ich Ew. Hoch-
wohlgebohrnen Briefe entgegen geſehen. Hier
eine Umarmung, und von der Frau v. G —
ein tiefer Knicks, vom jungen Herrn ein
rußiſcher, und von ſeinem Hofmeiſter ein fran-
zoͤſiſcher Buͤckling — und zwar ſo durchein-
ander, daß Niemand wußte, wem eigentlich
die Verbeugung oder Scharrfuß gelten ſolte.
Nach dieſem Zeichen der Wiedergeburt einer
ſeit zehn Jahren verfallenen Freundſchaft,
haͤtte man glauben ſollen, es waͤre zwiſchen
Sr. Hochwohlgebohrnen und Sr. Wohlehr-
wuͤrden alles berichtiget; allein, es gieng
dieſen beyden Leuten ſo wie Richtern, die
ſich zwar geeinigt haben, wer von beyden
Klaͤger oder Beklagter, gewinnen oder verlie-
ren ſoll? nachhero aber uͤber die Entſchei-
dungsgruͤnde und die Gegengruͤnde die Koͤpfe
ſchuͤtteln, und zuweilen an einander ſtoßen,
um ein Urtheil zu formen. Alle Augenblick
war ein Knoten, den keiner von beyden loͤſen
konnte, den aber auch keiner von beyden ſo
geradezu ſpalten wolte. Ich muß geſtehen,

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[349/0361] ber Herr Paſtor? ich hab’ ſchon zehn Jahre auf Sie gewartet, ſagte der Herr v. G — und mein Vater wie aus der Piſtole: eben ſo lange, einen halben Tag, den ich zur Reiſe noͤthig hatte, abgerechnet, hab ich Ew. Hoch- wohlgebohrnen Briefe entgegen geſehen. Hier eine Umarmung, und von der Frau v. G — ein tiefer Knicks, vom jungen Herrn ein rußiſcher, und von ſeinem Hofmeiſter ein fran- zoͤſiſcher Buͤckling — und zwar ſo durchein- ander, daß Niemand wußte, wem eigentlich die Verbeugung oder Scharrfuß gelten ſolte. Nach dieſem Zeichen der Wiedergeburt einer ſeit zehn Jahren verfallenen Freundſchaft, haͤtte man glauben ſollen, es waͤre zwiſchen Sr. Hochwohlgebohrnen und Sr. Wohlehr- wuͤrden alles berichtiget; allein, es gieng dieſen beyden Leuten ſo wie Richtern, die ſich zwar geeinigt haben, wer von beyden Klaͤger oder Beklagter, gewinnen oder verlie- ren ſoll? nachhero aber uͤber die Entſchei- dungsgruͤnde und die Gegengruͤnde die Koͤpfe ſchuͤtteln, und zuweilen an einander ſtoßen, um ein Urtheil zu formen. Alle Augenblick war ein Knoten, den keiner von beyden loͤſen konnte, den aber auch keiner von beyden ſo geradezu ſpalten wolte. Ich muß geſtehen, daß

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/361>, abgerufen am 24.11.2024.