Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

seeliger Grosvater, und sie weinte bitterlich.
Findest du mühlsteinerne Herzen, verzweifle
nicht -- Gott kann dir aus Steinen Kin-
der erwecken. Ruf getrost! schone nicht!
Lerne recht fürchterlich: wer da? schreien,
wenn der Teufel herumgehet wie ein brüllen-
der Löwe, und suchet welch'n er verschlinge.
Wer bösen Leimmund macht vergeht am
Ende wie das Unrecht.

Die Welt kann doch nichts geben,
was wahre Ruhe giebt;
wer hier und dort will leben,
ist Vater! der dich liebt!

Wenn du im Consistorio sitzest, rede Niemand
mehr nach deinen Worten; außer daß ge-
sagt werde: du habest wohl gesprochen. Die
Alten müßen sich freuen über deine Weisheit,
und die Jungen müßen auf dich warten, wie
auf den Regen, und ihren Mund aufsperren,
als auf den Abendregen. Sey des Blinden Au-
ge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm.
Wenn du einen Brief schreibest, vergiß nicht A
und O auf griechisch oben anzusetzen, das ist der
geistliche Stempel. Aergere dich nur deiner
Gesundheit wegen, und eben darum, warum
man Gift in Arzeneien mischt. Dein Va-
ter lernt alle fünf Jahr eine Sprache, um

dem

ſeeliger Grosvater, und ſie weinte bitterlich.
Findeſt du muͤhlſteinerne Herzen, verzweifle
nicht — Gott kann dir aus Steinen Kin-
der erwecken. Ruf getroſt! ſchone nicht!
Lerne recht fuͤrchterlich: wer da? ſchreien,
wenn der Teufel herumgehet wie ein bruͤllen-
der Loͤwe, und ſuchet welch’n er verſchlinge.
Wer boͤſen Leimmund macht vergeht am
Ende wie das Unrecht.

Die Welt kann doch nichts geben,
was wahre Ruhe giebt;
wer hier und dort will leben,
iſt Vater! der dich liebt!

Wenn du im Conſiſtorio ſitzeſt, rede Niemand
mehr nach deinen Worten; außer daß ge-
ſagt werde: du habeſt wohl geſprochen. Die
Alten muͤßen ſich freuen uͤber deine Weisheit,
und die Jungen muͤßen auf dich warten, wie
auf den Regen, und ihren Mund aufſperren,
als auf den Abendregen. Sey des Blinden Au-
ge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm.
Wenn du einen Brief ſchreibeſt, vergiß nicht A
und O auf griechiſch oben anzuſetzen, das iſt der
geiſtliche Stempel. Aergere dich nur deiner
Geſundheit wegen, und eben darum, warum
man Gift in Arzeneien miſcht. Dein Va-
ter lernt alle fuͤnf Jahr eine Sprache, um

dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0343" n="331"/>
&#x017F;eeliger Grosvater, und &#x017F;ie weinte bitterlich.<lb/>
Finde&#x017F;t du mu&#x0364;hl&#x017F;teinerne Herzen, verzweifle<lb/>
nicht &#x2014; Gott kann dir aus Steinen Kin-<lb/>
der erwecken. Ruf getro&#x017F;t! &#x017F;chone nicht!<lb/>
Lerne recht fu&#x0364;rchterlich: <hi rendition="#fr">wer da?</hi> &#x017F;chreien,<lb/>
wenn der Teufel herumgehet wie ein bru&#x0364;llen-<lb/>
der Lo&#x0364;we, und &#x017F;uchet welch&#x2019;n er ver&#x017F;chlinge.<lb/>
Wer bo&#x0364;&#x017F;en Leimmund macht vergeht am<lb/>
Ende wie das Unrecht.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Die Welt kann doch nichts geben,</l><lb/>
          <l>was wahre Ruhe giebt;</l><lb/>
          <l>wer hier und dort will leben,</l><lb/>
          <l>i&#x017F;t Vater! der <hi rendition="#g">dich</hi> liebt!</l>
        </lg><lb/>
        <p>Wenn du im Con&#x017F;i&#x017F;torio &#x017F;itze&#x017F;t, rede Niemand<lb/>
mehr nach deinen Worten; außer daß ge-<lb/>
&#x017F;agt werde: du habe&#x017F;t <hi rendition="#fr">wohl</hi> ge&#x017F;prochen. Die<lb/>
Alten mu&#x0364;ßen &#x017F;ich freuen u&#x0364;ber deine Weisheit,<lb/>
und die Jungen mu&#x0364;ßen auf dich warten, wie<lb/>
auf den Regen, und ihren Mund auf&#x017F;perren,<lb/>
als auf den Abendregen. Sey des Blinden Au-<lb/>
ge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm.<lb/>
Wenn du einen Brief &#x017F;chreibe&#x017F;t, vergiß nicht <hi rendition="#fr">A</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">O</hi> auf griechi&#x017F;ch oben anzu&#x017F;etzen, das i&#x017F;t der<lb/><hi rendition="#fr">gei&#x017F;tliche Stempel.</hi> Aergere dich nur deiner<lb/>
Ge&#x017F;undheit wegen, und eben darum, warum<lb/>
man Gift in Arzeneien mi&#x017F;cht. Dein Va-<lb/>
ter lernt alle fu&#x0364;nf Jahr eine Sprache, um<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0343] ſeeliger Grosvater, und ſie weinte bitterlich. Findeſt du muͤhlſteinerne Herzen, verzweifle nicht — Gott kann dir aus Steinen Kin- der erwecken. Ruf getroſt! ſchone nicht! Lerne recht fuͤrchterlich: wer da? ſchreien, wenn der Teufel herumgehet wie ein bruͤllen- der Loͤwe, und ſuchet welch’n er verſchlinge. Wer boͤſen Leimmund macht vergeht am Ende wie das Unrecht. Die Welt kann doch nichts geben, was wahre Ruhe giebt; wer hier und dort will leben, iſt Vater! der dich liebt! Wenn du im Conſiſtorio ſitzeſt, rede Niemand mehr nach deinen Worten; außer daß ge- ſagt werde: du habeſt wohl geſprochen. Die Alten muͤßen ſich freuen uͤber deine Weisheit, und die Jungen muͤßen auf dich warten, wie auf den Regen, und ihren Mund aufſperren, als auf den Abendregen. Sey des Blinden Au- ge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm. Wenn du einen Brief ſchreibeſt, vergiß nicht A und O auf griechiſch oben anzuſetzen, das iſt der geiſtliche Stempel. Aergere dich nur deiner Geſundheit wegen, und eben darum, warum man Gift in Arzeneien miſcht. Dein Va- ter lernt alle fuͤnf Jahr eine Sprache, um dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/343
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/343>, abgerufen am 16.06.2024.