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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Du hast unrecht gedacht mein Kind

Aber der Brief sagte meine Mutter. Sie
war einmal in Unordnung und wie eine Uhr
die unrichtig ist so lang von eins bis zwölf
immer fort schlägt bis das Gewicht abgelau-
fen ist war auch sie mit ihrem: der Brief.

Glaube mir mein Kind erwiederte mein
Vater es giebt nicht Aexzte, Wundärzte
giebts hier und da einen. Hier folgte ein
langes Capittel für und wieder die Aerzte,
wodurch meine Mutter in eine solche Enge
gebracht wurde, daß sie nicht aus noch ein
wußte. Ehre den Arzt sagte sie in der Ver-
wirrung, allein welch eine allgemeine Ursache
erwiederte mein Vater denn der Herr hat
ihn gemacht.
Wenn dem Arzte keine an-
dere Ehre zukommt so sind sie eben nicht
hochgeehrt! Was thun sie auch? Sie sind
unsre Peiniger. Sie suchen eine Ehre da-
rinn, daß wir durch ihre und nicht durch
die Hand der Natur sterben. Sie sind pri-
vilegirte Giftmischer und subtile Todtschläger
die ein Recht promoviret haben, tödten zu
können: und wenns ihnen glückt, wenn sie
einen Menschen auf ein halb Jahr befristen
ists ein Mensch? eine Mißgeburt ist's, ein
im Reich der Todten Angeworbener. Wer

einen
L 3

Du haſt unrecht gedacht mein Kind

Aber der Brief ſagte meine Mutter. Sie
war einmal in Unordnung und wie eine Uhr
die unrichtig iſt ſo lang von eins bis zwoͤlf
immer fort ſchlaͤgt bis das Gewicht abgelau-
fen iſt war auch ſie mit ihrem: der Brief.

Glaube mir mein Kind erwiederte mein
Vater es giebt nicht Aexzte, Wundaͤrzte
giebts hier und da einen. Hier folgte ein
langes Capittel fuͤr und wieder die Aerzte,
wodurch meine Mutter in eine ſolche Enge
gebracht wurde, daß ſie nicht aus noch ein
wußte. Ehre den Arzt ſagte ſie in der Ver-
wirrung, allein welch eine allgemeine Urſache
erwiederte mein Vater denn der Herr hat
ihn gemacht.
Wenn dem Arzte keine an-
dere Ehre zukommt ſo ſind ſie eben nicht
hochgeehrt! Was thun ſie auch? Sie ſind
unſre Peiniger. Sie ſuchen eine Ehre da-
rinn, daß wir durch ihre und nicht durch
die Hand der Natur ſterben. Sie ſind pri-
vilegirte Giftmiſcher und ſubtile Todtſchlaͤger
die ein Recht promoviret haben, toͤdten zu
koͤnnen: und wenns ihnen gluͤckt, wenn ſie
einen Menſchen auf ein halb Jahr befriſten
iſts ein Menſch? eine Mißgeburt iſt’s, ein
im Reich der Todten Angeworbener. Wer

einen
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[163/0171] Du haſt unrecht gedacht mein Kind Aber der Brief ſagte meine Mutter. Sie war einmal in Unordnung und wie eine Uhr die unrichtig iſt ſo lang von eins bis zwoͤlf immer fort ſchlaͤgt bis das Gewicht abgelau- fen iſt war auch ſie mit ihrem: der Brief. Glaube mir mein Kind erwiederte mein Vater es giebt nicht Aexzte, Wundaͤrzte giebts hier und da einen. Hier folgte ein langes Capittel fuͤr und wieder die Aerzte, wodurch meine Mutter in eine ſolche Enge gebracht wurde, daß ſie nicht aus noch ein wußte. Ehre den Arzt ſagte ſie in der Ver- wirrung, allein welch eine allgemeine Urſache erwiederte mein Vater denn der Herr hat ihn gemacht. Wenn dem Arzte keine an- dere Ehre zukommt ſo ſind ſie eben nicht hochgeehrt! Was thun ſie auch? Sie ſind unſre Peiniger. Sie ſuchen eine Ehre da- rinn, daß wir durch ihre und nicht durch die Hand der Natur ſterben. Sie ſind pri- vilegirte Giftmiſcher und ſubtile Todtſchlaͤger die ein Recht promoviret haben, toͤdten zu koͤnnen: und wenns ihnen gluͤckt, wenn ſie einen Menſchen auf ein halb Jahr befriſten iſts ein Menſch? eine Mißgeburt iſt’s, ein im Reich der Todten Angeworbener. Wer einen L 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/171>, abgerufen am 27.11.2024.