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Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.

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Frauenstimmrecht.
sie werden durch ihre Erziehung bloss zur Genusssucht und
zu "gesellschaftlichen Pflichten" angeleitet und wünschen dann
lediglich zu heirathen, um in dieser Richtung ungestört
fortleben zu können, keineswegs aber, um ernste Pflichten da-
mit zu übernehmen. Von Seite der Männer sieht man in den
unteren Schichten der Gesellschaft eine Frau als eine unbe-
zahlte Magd, ohne Freiheit der Aufkündung ihrer Dienst-
leistungen, oft beinahe als ein gekauftes Arbeitsthier an, in
den oberen entweder als einen Luxusgegenstand, oder als ein
gutes Mittel, um auf dem einfachsten Wege seine Ver-
mögensumstände zu verbessern. Bei einer derartigen Sachlage
erscheint das Frauenstimmrecht anfänglich schon etwas
gewagt, aber es ist eben eines der besten Mittel, um diese
trostlose Lebensanschauung selber zu beseitigen. "Es ist die
Macht das höchste Gut des Himmels, wenn man sie braucht
zu einem edeln Zweck." Und "es ist noch keiner als ein
falscher Prophet erfunden worden, der an die Möglichkeit des
Edlen in der Menschheit geglaubt hat".

Ohne allen Zweifel daher geht diese begonnene Emanzipation
ihren Weg vorwärts, wie es jede andere von gedrückten,
oder benachtheiligten Menschenklassen in civilisirten Staaten,
einmal angefangen, auch gethan hat.1) Vorläufig ist freilich
noch in fast allen Staaten das Wort wahr, dass "die Gesetze
den Frauen weniger gewähren als die Gerechtigkeit es
erfordert" und die Frauen sind daran nicht weniger schuld,

1) Stead sagt darüber in dem Leben der Josephine Butler, "la
revendication des droits de l'homme s'est formulee il y a un siecle
dans les celebres declarations de l'independance americaine et de
l'assemblee constituante de la France, mais elle n'a pas encore trouve
son corollaire en ce qui concerne la femme".

Frauenstimmrecht.
sie werden durch ihre Erziehung bloss zur Genusssucht und
zu «gesellschaftlichen Pflichten» angeleitet und wünschen dann
lediglich zu heirathen, um in dieser Richtung ungestört
fortleben zu können, keineswegs aber, um ernste Pflichten da-
mit zu übernehmen. Von Seite der Männer sieht man in den
unteren Schichten der Gesellschaft eine Frau als eine unbe-
zahlte Magd, ohne Freiheit der Aufkündung ihrer Dienst-
leistungen, oft beinahe als ein gekauftes Arbeitsthier an, in
den oberen entweder als einen Luxusgegenstand, oder als ein
gutes Mittel, um auf dem einfachsten Wege seine Ver-
mögensumstände zu verbessern. Bei einer derartigen Sachlage
erscheint das Frauenstimmrecht anfänglich schon etwas
gewagt, aber es ist eben eines der besten Mittel, um diese
trostlose Lebensanschauung selber zu beseitigen. «Es ist die
Macht das höchste Gut des Himmels, wenn man sie braucht
zu einem edeln Zweck.» Und «es ist noch keiner als ein
falscher Prophet erfunden worden, der an die Möglichkeit des
Edlen in der Menschheit geglaubt hat».

Ohne allen Zweifel daher geht diese begonnene Emanzipation
ihren Weg vorwärts, wie es jede andere von gedrückten,
oder benachtheiligten Menschenklassen in civilisirten Staaten,
einmal angefangen, auch gethan hat.1) Vorläufig ist freilich
noch in fast allen Staaten das Wort wahr, dass «die Gesetze
den Frauen weniger gewähren als die Gerechtigkeit es
erfordert» und die Frauen sind daran nicht weniger schuld,

1) Stead sagt darüber in dem Leben der Josephine Butler, «la
revendication des droits de l'homme s'est formulée il y a un siècle
dans les célèbres déclarations de l'indépendance américaine et de
l'assemblée constituante de la France, mais elle n'a pas encore trouvé
son corollaire en ce qui concerne la femme».
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[290/0050] Frauenstimmrecht. sie werden durch ihre Erziehung bloss zur Genusssucht und zu «gesellschaftlichen Pflichten» angeleitet und wünschen dann lediglich zu heirathen, um in dieser Richtung ungestört fortleben zu können, keineswegs aber, um ernste Pflichten da- mit zu übernehmen. Von Seite der Männer sieht man in den unteren Schichten der Gesellschaft eine Frau als eine unbe- zahlte Magd, ohne Freiheit der Aufkündung ihrer Dienst- leistungen, oft beinahe als ein gekauftes Arbeitsthier an, in den oberen entweder als einen Luxusgegenstand, oder als ein gutes Mittel, um auf dem einfachsten Wege seine Ver- mögensumstände zu verbessern. Bei einer derartigen Sachlage erscheint das Frauenstimmrecht anfänglich schon etwas gewagt, aber es ist eben eines der besten Mittel, um diese trostlose Lebensanschauung selber zu beseitigen. «Es ist die Macht das höchste Gut des Himmels, wenn man sie braucht zu einem edeln Zweck.» Und «es ist noch keiner als ein falscher Prophet erfunden worden, der an die Möglichkeit des Edlen in der Menschheit geglaubt hat». Ohne allen Zweifel daher geht diese begonnene Emanzipation ihren Weg vorwärts, wie es jede andere von gedrückten, oder benachtheiligten Menschenklassen in civilisirten Staaten, einmal angefangen, auch gethan hat. 1) Vorläufig ist freilich noch in fast allen Staaten das Wort wahr, dass «die Gesetze den Frauen weniger gewähren als die Gerechtigkeit es erfordert» und die Frauen sind daran nicht weniger schuld, 1) Stead sagt darüber in dem Leben der Josephine Butler, «la revendication des droits de l'homme s'est formulée il y a un siècle dans les célèbres déclarations de l'indépendance américaine et de l'assemblée constituante de la France, mais elle n'a pas encore trouvé son corollaire en ce qui concerne la femme».

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Zitationshilfe: Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/50>, abgerufen am 24.11.2024.