Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.Frauenstimmrecht.
menden Frauen die liberalen, oder radikalen Parteigrup-pen verstärken würden, wenigstens giengen alle Vorschläge zur Einführung des Frauenstimmrechts bisher von dieser Seite aus und sind namentlich die weiblichen Befürworterinnen in der Presse und in Versammlungen meist leidenschaftliche An- hängerinnen des politischen, sozialen und religiösen Radikalis- mus. Eine ähnliche Meinung scheint in Deutschland zu herr- schen, wo bisher bloss die sozialistische Partei1) und die ihr näher stehenden sozialpolitischen Kreise etwas von Frauen- stimmrecht wissen wollen. Es ist daher in England bisher das Unterhaus der Erweiterung des Frauenstimmrechts ge- neigter gewesen, als das Oberhaus und die höheren Gerichtshöfe. Immerhin war auch Gladstone2) im Jahre 1892 dagegen, ebenso im Jahre 1897 Harcourt, der leader der Liberalen, der Staats- rechtslehrer Bryce, der frühere Handelsminister Mundella und sogar der Radikale Labouchere, der es ursprünglich befür- wortet hatte. Uebrigens steht in England die Frage nur so, 1) Das Erfurterprogramm enthält das Frauenstimmrecht; vergl. Jahrbuch VI, 699. Ein Votum von Bebel im Deutschen Reichstag ist in den Beilagen abgedruckt. 2) Die Argumente Gladstone's richteten sich in erster Linie gegen
die Vorschläge dieses besonderen Gesetzentwurfes, welcher sämmt- lichen verheiratheten Frauen das Stimmrecht vorenthält, und es nur den unverheiratheten verleiht. Müsse doch im Grunde bei Familien- müttern das Gefühl der Verantwortlichkeit viel ausgeprägter sein; im Allgemeinen aber sei die gesammte Frauenstimmrechtsfrage noch nicht vom Volke in dem Grade aufgenommen worden, dass sie für das Parlament spruchreif sei. Einstweilen bleibe eine so tief ein- greifende Veränderung besser noch Gegenstand der Erörterung. Hätten doch selbst viele Frauen sich gegen die ihnen zugedachte Ertheilung des Stimmrechts ausgesprochen. Ehe das Parlament eine solche beschliesse, müsse festgestellt werden, dass eine überwältigende Mehrheit der britischen Frauen diese Rechtswohlthat auch wirklich Frauenstimmrecht.
menden Frauen die liberalen, oder radikalen Parteigrup-pen verstärken würden, wenigstens giengen alle Vorschläge zur Einführung des Frauenstimmrechts bisher von dieser Seite aus und sind namentlich die weiblichen Befürworterinnen in der Presse und in Versammlungen meist leidenschaftliche An- hängerinnen des politischen, sozialen und religiösen Radikalis- mus. Eine ähnliche Meinung scheint in Deutschland zu herr- schen, wo bisher bloss die sozialistische Partei1) und die ihr näher stehenden sozialpolitischen Kreise etwas von Frauen- stimmrecht wissen wollen. Es ist daher in England bisher das Unterhaus der Erweiterung des Frauenstimmrechts ge- neigter gewesen, als das Oberhaus und die höheren Gerichtshöfe. Immerhin war auch Gladstone2) im Jahre 1892 dagegen, ebenso im Jahre 1897 Harcourt, der leader der Liberalen, der Staats- rechtslehrer Bryce, der frühere Handelsminister Mundella und sogar der Radikale Labouchère, der es ursprünglich befür- wortet hatte. Uebrigens steht in England die Frage nur so, 1) Das Erfurterprogramm enthält das Frauenstimmrecht; vergl. Jahrbuch VI, 699. Ein Votum von Bebel im Deutschen Reichstag ist in den Beilagen abgedruckt. 2) Die Argumente Gladstone's richteten sich in erster Linie gegen
die Vorschläge dieses besonderen Gesetzentwurfes, welcher sämmt- lichen verheiratheten Frauen das Stimmrecht vorenthält, und es nur den unverheiratheten verleiht. Müsse doch im Grunde bei Familien- müttern das Gefühl der Verantwortlichkeit viel ausgeprägter sein; im Allgemeinen aber sei die gesammte Frauenstimmrechtsfrage noch nicht vom Volke in dem Grade aufgenommen worden, dass sie für das Parlament spruchreif sei. Einstweilen bleibe eine so tief ein- greifende Veränderung besser noch Gegenstand der Erörterung. Hätten doch selbst viele Frauen sich gegen die ihnen zugedachte Ertheilung des Stimmrechts ausgesprochen. Ehe das Parlament eine solche beschliesse, müsse festgestellt werden, dass eine überwältigende Mehrheit der britischen Frauen diese Rechtswohlthat auch wirklich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0038" n="278"/><fw place="top" type="header">Frauenstimmrecht.</fw> menden Frauen die <hi rendition="#g">liberalen</hi>, oder <hi rendition="#g">radikalen</hi> Parteigrup-<lb/> pen verstärken würden, wenigstens giengen alle Vorschläge<lb/> zur Einführung des Frauenstimmrechts bisher von <hi rendition="#g">dieser</hi> Seite<lb/> aus und sind namentlich die weiblichen Befürworterinnen in<lb/> der Presse und in Versammlungen meist leidenschaftliche An-<lb/> hängerinnen des politischen, sozialen und religiösen Radikalis-<lb/> mus. Eine ähnliche Meinung scheint in Deutschland zu herr-<lb/> schen, wo bisher bloss die sozialistische Partei<note place="foot" n="1)">Das Erfurterprogramm enthält das Frauenstimmrecht; vergl.<lb/> Jahrbuch VI, 699. Ein Votum von <hi rendition="#g">Bebel</hi> im Deutschen Reichstag<lb/> ist in den Beilagen abgedruckt.</note> und die ihr<lb/> näher stehenden sozialpolitischen Kreise etwas von Frauen-<lb/> stimmrecht wissen wollen. Es ist daher in England bisher<lb/> das Unterhaus der Erweiterung des Frauenstimmrechts ge-<lb/> neigter gewesen, als das Oberhaus und die höheren Gerichtshöfe.<lb/> Immerhin war auch Gladstone<note xml:id="ID09" next="#ID10" place="foot" n="2)">Die Argumente <hi rendition="#g">Gladstone's</hi> richteten sich in erster Linie gegen<lb/> die Vorschläge dieses besonderen Gesetzentwurfes, welcher sämmt-<lb/> lichen verheiratheten Frauen das Stimmrecht vorenthält, und es nur<lb/> den unverheiratheten verleiht. Müsse doch im Grunde bei Familien-<lb/> müttern das Gefühl der Verantwortlichkeit viel ausgeprägter sein;<lb/> im Allgemeinen aber sei die gesammte Frauenstimmrechtsfrage noch<lb/> nicht vom Volke in dem Grade aufgenommen worden, dass sie für<lb/> das Parlament spruchreif sei. Einstweilen bleibe eine so tief ein-<lb/> greifende Veränderung besser noch Gegenstand der Erörterung.<lb/> Hätten doch selbst viele Frauen sich gegen die ihnen zugedachte<lb/> Ertheilung des Stimmrechts ausgesprochen. Ehe das Parlament eine<lb/> solche beschliesse, müsse festgestellt werden, dass eine überwältigende<lb/> Mehrheit der britischen Frauen diese Rechtswohlthat auch wirklich</note> im Jahre 1892 dagegen, ebenso<lb/> im Jahre 1897 Harcourt, der leader der Liberalen, der Staats-<lb/> rechtslehrer Bryce, der frühere Handelsminister Mundella und<lb/> sogar der Radikale Labouchère, der es ursprünglich befür-<lb/> wortet hatte. Uebrigens steht in England die Frage nur so,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [278/0038]
Frauenstimmrecht.
menden Frauen die liberalen, oder radikalen Parteigrup-
pen verstärken würden, wenigstens giengen alle Vorschläge
zur Einführung des Frauenstimmrechts bisher von dieser Seite
aus und sind namentlich die weiblichen Befürworterinnen in
der Presse und in Versammlungen meist leidenschaftliche An-
hängerinnen des politischen, sozialen und religiösen Radikalis-
mus. Eine ähnliche Meinung scheint in Deutschland zu herr-
schen, wo bisher bloss die sozialistische Partei 1) und die ihr
näher stehenden sozialpolitischen Kreise etwas von Frauen-
stimmrecht wissen wollen. Es ist daher in England bisher
das Unterhaus der Erweiterung des Frauenstimmrechts ge-
neigter gewesen, als das Oberhaus und die höheren Gerichtshöfe.
Immerhin war auch Gladstone 2) im Jahre 1892 dagegen, ebenso
im Jahre 1897 Harcourt, der leader der Liberalen, der Staats-
rechtslehrer Bryce, der frühere Handelsminister Mundella und
sogar der Radikale Labouchère, der es ursprünglich befür-
wortet hatte. Uebrigens steht in England die Frage nur so,
1) Das Erfurterprogramm enthält das Frauenstimmrecht; vergl.
Jahrbuch VI, 699. Ein Votum von Bebel im Deutschen Reichstag
ist in den Beilagen abgedruckt.
2) Die Argumente Gladstone's richteten sich in erster Linie gegen
die Vorschläge dieses besonderen Gesetzentwurfes, welcher sämmt-
lichen verheiratheten Frauen das Stimmrecht vorenthält, und es nur
den unverheiratheten verleiht. Müsse doch im Grunde bei Familien-
müttern das Gefühl der Verantwortlichkeit viel ausgeprägter sein;
im Allgemeinen aber sei die gesammte Frauenstimmrechtsfrage noch
nicht vom Volke in dem Grade aufgenommen worden, dass sie für
das Parlament spruchreif sei. Einstweilen bleibe eine so tief ein-
greifende Veränderung besser noch Gegenstand der Erörterung.
Hätten doch selbst viele Frauen sich gegen die ihnen zugedachte
Ertheilung des Stimmrechts ausgesprochen. Ehe das Parlament eine
solche beschliesse, müsse festgestellt werden, dass eine überwältigende
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Zitationshilfe: | Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/38>, abgerufen am 16.07.2024. |