Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.Frauenstimmrecht.
John A. Campbell. Die Gesetzgeber hatten zum Theil denVorschlag als eine Art "joke" betrachtet, während ein anderer Theil die Idee, den Frauen das volle Stimmrecht zu geben, als eine vortreffliche Reklame für das neue Territorium ansah. Der Gouverneur aber nahm die Sache ernst und vertheidigte das Recht der Frauen auch durch sein Veto, als zwei Jahre später eine Bill auf Beseitigung des Frauen- stimmrechts eingebracht wurde. So geschah es, dass das Territorium Wyoming bis heute die absolute politische Gleichberechtigung beider Geschlechter geniesst. Man kann also dort von einer zwanzigjährigen Erfahrung sprechen. Und in dieser Periode hat Wyoming sich allmählich zu einem Staatswesen mit mehr als 100000 Einwohnern entwickelt. Ferner wird konstatirt, dass das Experiment im Ganzen überraschend günstig ausgefallen ist. Der Prozentsatz der Frauen, welche ihr Wahlrecht ausüben, ist sehr gross (bis zu 80 Proz.). Trotzdem haben sich die Frauen nicht in aufdringlicher Weise in die Politik gemischt. In die parla- mentarische Vertretung des Territoriums ist bisher keine Frau -- trotz der gesetzlichen Befähigung -- gewählt worden. Dagegen haben sie ihr Stimmrecht dazu benutzt, um Männer in die gesetzgebenden Körper und in öffentliche Aemter zu bringen, welche sich bereit zeigten, gegen Trunk- sucht, Spiel, Prostitution, sowie politische Korruption und für eine ausgiebige, unentgeltliche öffentliche Schulerziehung einzutreten. Thatsächlich soll in Wyoming die Zahl der Analphabeten denn auch geringer sein, als in irgend einem anderen Staat oder Territorium der Union. Auch ein Gesetz über die bessere Ventilation in Bergwerken wird auf die Initiative der Frauen von Wyoming zurückgeführt. Die Frage: "Hat die politische Gleichberechtigung der Geschlechter auf das Familienleben und speziell auf das Verhältniss der Ehe- Frauenstimmrecht.
John A. Campbell. Die Gesetzgeber hatten zum Theil denVorschlag als eine Art «joke» betrachtet, während ein anderer Theil die Idee, den Frauen das volle Stimmrecht zu geben, als eine vortreffliche Reklame für das neue Territorium ansah. Der Gouverneur aber nahm die Sache ernst und vertheidigte das Recht der Frauen auch durch sein Veto, als zwei Jahre später eine Bill auf Beseitigung des Frauen- stimmrechts eingebracht wurde. So geschah es, dass das Territorium Wyoming bis heute die absolute politische Gleichberechtigung beider Geschlechter geniesst. Man kann also dort von einer zwanzigjährigen Erfahrung sprechen. Und in dieser Periode hat Wyoming sich allmählich zu einem Staatswesen mit mehr als 100000 Einwohnern entwickelt. Ferner wird konstatirt, dass das Experiment im Ganzen überraschend günstig ausgefallen ist. Der Prozentsatz der Frauen, welche ihr Wahlrecht ausüben, ist sehr gross (bis zu 80 Proz.). Trotzdem haben sich die Frauen nicht in aufdringlicher Weise in die Politik gemischt. In die parla- mentarische Vertretung des Territoriums ist bisher keine Frau — trotz der gesetzlichen Befähigung — gewählt worden. Dagegen haben sie ihr Stimmrecht dazu benutzt, um Männer in die gesetzgebenden Körper und in öffentliche Aemter zu bringen, welche sich bereit zeigten, gegen Trunk- sucht, Spiel, Prostitution, sowie politische Korruption und für eine ausgiebige, unentgeltliche öffentliche Schulerziehung einzutreten. Thatsächlich soll in Wyoming die Zahl der Analphabeten denn auch geringer sein, als in irgend einem anderen Staat oder Territorium der Union. Auch ein Gesetz über die bessere Ventilation in Bergwerken wird auf die Initiative der Frauen von Wyoming zurückgeführt. Die Frage: «Hat die politische Gleichberechtigung der Geschlechter auf das Familienleben und speziell auf das Verhältniss der Ehe- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="272"/><fw place="top" type="header">Frauenstimmrecht.</fw> John A. Campbell. Die Gesetzgeber hatten zum Theil den<lb/> Vorschlag als eine Art «joke» betrachtet, während ein anderer<lb/> Theil die Idee, den Frauen das volle Stimmrecht zu geben,<lb/> als eine vortreffliche Reklame für das neue Territorium<lb/> ansah. Der Gouverneur aber nahm die Sache ernst und<lb/> vertheidigte das Recht der Frauen auch durch sein Veto,<lb/> als zwei Jahre später eine Bill auf Beseitigung des Frauen-<lb/> stimmrechts eingebracht wurde. So geschah es, dass das<lb/> Territorium Wyoming bis heute die absolute politische<lb/> Gleichberechtigung beider Geschlechter geniesst. Man kann<lb/> also dort von einer zwanzigjährigen Erfahrung sprechen.<lb/> Und in dieser Periode hat Wyoming sich allmählich zu einem<lb/> Staatswesen mit mehr als 100000 Einwohnern entwickelt.<lb/> Ferner wird konstatirt, dass das Experiment im Ganzen<lb/> überraschend günstig ausgefallen ist. Der Prozentsatz der<lb/> Frauen, welche ihr Wahlrecht ausüben, ist sehr gross (bis<lb/> zu 80 Proz.). Trotzdem haben sich die Frauen nicht in<lb/> aufdringlicher Weise in die Politik gemischt. In die parla-<lb/> mentarische Vertretung des Territoriums ist bisher keine<lb/> Frau — trotz der gesetzlichen Befähigung — gewählt<lb/> worden. Dagegen haben sie ihr Stimmrecht dazu benutzt,<lb/> um Männer in die gesetzgebenden Körper und in öffentliche<lb/> Aemter zu bringen, welche sich bereit zeigten, gegen Trunk-<lb/> sucht, Spiel, Prostitution, sowie politische Korruption und<lb/> für eine ausgiebige, unentgeltliche öffentliche Schulerziehung<lb/> einzutreten. Thatsächlich soll in Wyoming die Zahl der<lb/> Analphabeten denn auch geringer sein, als in irgend einem<lb/> anderen Staat oder Territorium der Union. Auch ein Gesetz<lb/> über die bessere Ventilation in Bergwerken wird auf die<lb/> Initiative der Frauen von Wyoming zurückgeführt. Die Frage:<lb/> «Hat die politische Gleichberechtigung der Geschlechter auf<lb/> das Familienleben und speziell auf das Verhältniss der Ehe-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [272/0032]
Frauenstimmrecht.
John A. Campbell. Die Gesetzgeber hatten zum Theil den
Vorschlag als eine Art «joke» betrachtet, während ein anderer
Theil die Idee, den Frauen das volle Stimmrecht zu geben,
als eine vortreffliche Reklame für das neue Territorium
ansah. Der Gouverneur aber nahm die Sache ernst und
vertheidigte das Recht der Frauen auch durch sein Veto,
als zwei Jahre später eine Bill auf Beseitigung des Frauen-
stimmrechts eingebracht wurde. So geschah es, dass das
Territorium Wyoming bis heute die absolute politische
Gleichberechtigung beider Geschlechter geniesst. Man kann
also dort von einer zwanzigjährigen Erfahrung sprechen.
Und in dieser Periode hat Wyoming sich allmählich zu einem
Staatswesen mit mehr als 100000 Einwohnern entwickelt.
Ferner wird konstatirt, dass das Experiment im Ganzen
überraschend günstig ausgefallen ist. Der Prozentsatz der
Frauen, welche ihr Wahlrecht ausüben, ist sehr gross (bis
zu 80 Proz.). Trotzdem haben sich die Frauen nicht in
aufdringlicher Weise in die Politik gemischt. In die parla-
mentarische Vertretung des Territoriums ist bisher keine
Frau — trotz der gesetzlichen Befähigung — gewählt
worden. Dagegen haben sie ihr Stimmrecht dazu benutzt,
um Männer in die gesetzgebenden Körper und in öffentliche
Aemter zu bringen, welche sich bereit zeigten, gegen Trunk-
sucht, Spiel, Prostitution, sowie politische Korruption und
für eine ausgiebige, unentgeltliche öffentliche Schulerziehung
einzutreten. Thatsächlich soll in Wyoming die Zahl der
Analphabeten denn auch geringer sein, als in irgend einem
anderen Staat oder Territorium der Union. Auch ein Gesetz
über die bessere Ventilation in Bergwerken wird auf die
Initiative der Frauen von Wyoming zurückgeführt. Die Frage:
«Hat die politische Gleichberechtigung der Geschlechter auf
das Familienleben und speziell auf das Verhältniss der Ehe-
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Zitationshilfe: | Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/32>, abgerufen am 16.07.2024. |