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Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900.

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mathematische Probleme.
den Grundkörper darstellt. In der Theorie der algebraischen
Functionen dient bekanntlich zum Nachweise jenes Riemann-
schen
Existenzsatzes die Methode der Randwertaufgabe; auch
in der Theorie der Zahlkörper bietet der Nachweis der Existenz
jener Zahl a gerade die meiste Schwierigkeit. Dieser Nachweis
gelingt mit wesentlicher Hülfe des Satzes, daß es im Zahlkörper
stets Primideale mit vorgeschriebenen Restcharakteren giebt; die
letztere Thatsache ist also das zahlentheoretische Analogon zum
Randwertproblem.

Die Gleichung des Abelschen Theorems in der Theorie der
algebraischen Functionen sagt bekanntlich die notwendige und hin-
reichende Bedingung dafür aus, daß die betreffenden Punkte der Rie-
mannschen
Fläche die Nullstellen einer algebraischen zur Fläche
gehörigen Function sind; das genaue Analogon des Abelschen
Theorems ist in der Theorie des Zahlkörpers von der Klassenan-
zahl h = 2 die Gleichung des quadratischen Reciprocitätsgesetzes 1)
[Formel 1] welche aussagt, daß das Ideal j dann und nur dann ein Haupt-
ideal des Zahlkörpers ist, wenn jene Zahl a in Bezug auf das
Ideal j einen positiven quadratischen Restcharakter besitzt.

Wie wir sehen, treten in dem eben gekennzeichneten Problem
die drei grundlegenden Disciplinen der Mathematik, nämlich Zahlen-
theorie, Algebra und Functionentheorie in die innigste gegensei-
tige Berührung und ich bin sicher, daß insbesondere die Theorie
der analytischen Functionen mehrerer Variabelen eine wesentliche
Bereicherung erfahren würde, wenn es gelänge, diejenigen Func-
tionen aufzufinden und zu diskutiren, die für einen beliebigen alge-
braischen Zahlkörper die entsprechende Rolle spielen, wie die Expo-
nentialfunction für den Körper der rationalen Zahlen und die ellip-
tische Modulfunction für den imaginären quadratischen Zahlkörper
.


Wir kommen nun zur Algebra; ich nenne im Folgenden ein
Problem aus der Gleichungstheorie und eines, auf welches mich
die Theorie der algebraischen Invarianten geführt hat.

1) Vgl. Hilbert, Ueber die Theorie der relativ - Abelschen Zahlkörper,
Nachrichten der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1898.

mathematische Probleme.
den Grundkörper darstellt. In der Theorie der algebraischen
Functionen dient bekanntlich zum Nachweise jenes Riemann-
schen
Existenzsatzes die Methode der Randwertaufgabe; auch
in der Theorie der Zahlkörper bietet der Nachweis der Existenz
jener Zahl α gerade die meiste Schwierigkeit. Dieser Nachweis
gelingt mit wesentlicher Hülfe des Satzes, daß es im Zahlkörper
stets Primideale mit vorgeschriebenen Restcharakteren giebt; die
letztere Thatsache ist also das zahlentheoretische Analogon zum
Randwertproblem.

Die Gleichung des Abelschen Theorems in der Theorie der
algebraischen Functionen sagt bekanntlich die notwendige und hin-
reichende Bedingung dafür aus, daß die betreffenden Punkte der Rie-
mannschen
Fläche die Nullstellen einer algebraischen zur Fläche
gehörigen Function sind; das genaue Analogon des Abelschen
Theorems ist in der Theorie des Zahlkörpers von der Klassenan-
zahl h = 2 die Gleichung des quadratischen Reciprocitätsgesetzes 1)
[Formel 1] welche aussagt, daß das Ideal j dann und nur dann ein Haupt-
ideal des Zahlkörpers ist, wenn jene Zahl α in Bezug auf das
Ideal j einen positiven quadratischen Restcharakter besitzt.

Wie wir sehen, treten in dem eben gekennzeichneten Problem
die drei grundlegenden Disciplinen der Mathematik, nämlich Zahlen-
theorie, Algebra und Functionentheorie in die innigste gegensei-
tige Berührung und ich bin sicher, daß insbesondere die Theorie
der analytischen Functionen mehrerer Variabelen eine wesentliche
Bereicherung erfahren würde, wenn es gelänge, diejenigen Func-
tionen aufzufinden und zu diskutiren, die für einen beliebigen alge-
braischen Zahlkörper die entsprechende Rolle spielen, wie die Expo-
nentialfunction für den Körper der rationalen Zahlen und die ellip-
tische Modulfunction für den imaginären quadratischen Zahlkörper
.


Wir kommen nun zur Algebra; ich nenne im Folgenden ein
Problem aus der Gleichungstheorie und eines, auf welches mich
die Theorie der algebraischen Invarianten geführt hat.

1) Vgl. Hilbert, Ueber die Theorie der relativ - Abelschen Zahlkörper,
Nachrichten der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1898.
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[279/0035] mathematische Probleme. den Grundkörper darstellt. In der Theorie der algebraischen Functionen dient bekanntlich zum Nachweise jenes Riemann- schen Existenzsatzes die Methode der Randwertaufgabe; auch in der Theorie der Zahlkörper bietet der Nachweis der Existenz jener Zahl α gerade die meiste Schwierigkeit. Dieser Nachweis gelingt mit wesentlicher Hülfe des Satzes, daß es im Zahlkörper stets Primideale mit vorgeschriebenen Restcharakteren giebt; die letztere Thatsache ist also das zahlentheoretische Analogon zum Randwertproblem. Die Gleichung des Abelschen Theorems in der Theorie der algebraischen Functionen sagt bekanntlich die notwendige und hin- reichende Bedingung dafür aus, daß die betreffenden Punkte der Rie- mannschen Fläche die Nullstellen einer algebraischen zur Fläche gehörigen Function sind; das genaue Analogon des Abelschen Theorems ist in der Theorie des Zahlkörpers von der Klassenan- zahl h = 2 die Gleichung des quadratischen Reciprocitätsgesetzes 1) [FORMEL] welche aussagt, daß das Ideal j dann und nur dann ein Haupt- ideal des Zahlkörpers ist, wenn jene Zahl α in Bezug auf das Ideal j einen positiven quadratischen Restcharakter besitzt. Wie wir sehen, treten in dem eben gekennzeichneten Problem die drei grundlegenden Disciplinen der Mathematik, nämlich Zahlen- theorie, Algebra und Functionentheorie in die innigste gegensei- tige Berührung und ich bin sicher, daß insbesondere die Theorie der analytischen Functionen mehrerer Variabelen eine wesentliche Bereicherung erfahren würde, wenn es gelänge, diejenigen Func- tionen aufzufinden und zu diskutiren, die für einen beliebigen alge- braischen Zahlkörper die entsprechende Rolle spielen, wie die Expo- nentialfunction für den Körper der rationalen Zahlen und die ellip- tische Modulfunction für den imaginären quadratischen Zahlkörper. Wir kommen nun zur Algebra; ich nenne im Folgenden ein Problem aus der Gleichungstheorie und eines, auf welches mich die Theorie der algebraischen Invarianten geführt hat. 1) Vgl. Hilbert, Ueber die Theorie der relativ - Abelschen Zahlkörper, Nachrichten der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1898.

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Zitationshilfe: Hilbert, David: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900. Göttingen, 1900, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilbert_mathematische_1900/35>, abgerufen am 23.11.2024.