Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Einleitung. Schon von den Italienern des 13. Jahrhunderts mit Vorliebe gepflegt, durch Bocaccio zur Kunstform erhoben, durch Cervantes endlich künstlerisch erweitert und seelisch vertieft, hat die Novelle doch in Deutschland erst sehr spät eine Heimath gefunden. Im Mittelalter begnügten wir uns mit unserem Besitzantheil an jenen internationalen Sammlungen, die unter dem Namen der "Sieben Weisen Meister", des "Buchs der Beispiele", der "Gesta Romanorum" u. s. w. bekannt sind; besonders waren wir reich an fremden und eigenen kleinen Erzählungen meist schwankhafter Art, in Versen oder Prosa, und zum Theil nicht ganz kunstlos vorgetragen. Aber diese Literatur versank in den Stürmen der Zeit, und was seit dem Anbrechen der neueren Bildung an ihre Stelle trat, war, einige wenige und obendrein recht zweifelhafte Versuche abgerechnet, weit entfernt, dem Begriff der Novelle zu entsprechen. So sind u. A. die kleinen Erzählungen, welche der bekannte Johann Heinrich Merck zu Anfang Einleitung. Schon von den Italienern des 13. Jahrhunderts mit Vorliebe gepflegt, durch Bocaccio zur Kunstform erhoben, durch Cervantes endlich künstlerisch erweitert und seelisch vertieft, hat die Novelle doch in Deutschland erst sehr spät eine Heimath gefunden. Im Mittelalter begnügten wir uns mit unserem Besitzantheil an jenen internationalen Sammlungen, die unter dem Namen der „Sieben Weisen Meister“, des „Buchs der Beispiele“, der „Gesta Romanorum“ u. s. w. bekannt sind; besonders waren wir reich an fremden und eigenen kleinen Erzählungen meist schwankhafter Art, in Versen oder Prosa, und zum Theil nicht ganz kunstlos vorgetragen. Aber diese Literatur versank in den Stürmen der Zeit, und was seit dem Anbrechen der neueren Bildung an ihre Stelle trat, war, einige wenige und obendrein recht zweifelhafte Versuche abgerechnet, weit entfernt, dem Begriff der Novelle zu entsprechen. So sind u. A. die kleinen Erzählungen, welche der bekannte Johann Heinrich Merck zu Anfang <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0005" n="[V]"/> <div> <head>Einleitung.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Schon von den Italienern des 13. Jahrhunderts mit Vorliebe gepflegt, durch <hi rendition="#g">Bocaccio</hi> zur Kunstform erhoben, durch <hi rendition="#g">Cervantes</hi> endlich künstlerisch erweitert und seelisch vertieft, hat die Novelle doch in Deutschland erst sehr spät eine Heimath gefunden. Im Mittelalter begnügten wir uns mit unserem Besitzantheil an jenen internationalen Sammlungen, die unter dem Namen der „Sieben Weisen Meister“, des „Buchs der Beispiele“, der „Gesta Romanorum“ u. s. w. bekannt sind; besonders waren wir reich an fremden und eigenen kleinen Erzählungen meist schwankhafter Art, in Versen oder Prosa, und zum Theil nicht ganz kunstlos vorgetragen. Aber diese Literatur versank in den Stürmen der Zeit, und was seit dem Anbrechen der neueren Bildung an ihre Stelle trat, war, einige wenige und obendrein recht zweifelhafte Versuche abgerechnet, weit entfernt, dem Begriff der Novelle zu entsprechen.</p> <p>So sind u. A. die kleinen Erzählungen, welche der bekannte Johann Heinrich <hi rendition="#g">Merck</hi> zu Anfang<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [[V]/0005]
Einleitung.
Schon von den Italienern des 13. Jahrhunderts mit Vorliebe gepflegt, durch Bocaccio zur Kunstform erhoben, durch Cervantes endlich künstlerisch erweitert und seelisch vertieft, hat die Novelle doch in Deutschland erst sehr spät eine Heimath gefunden. Im Mittelalter begnügten wir uns mit unserem Besitzantheil an jenen internationalen Sammlungen, die unter dem Namen der „Sieben Weisen Meister“, des „Buchs der Beispiele“, der „Gesta Romanorum“ u. s. w. bekannt sind; besonders waren wir reich an fremden und eigenen kleinen Erzählungen meist schwankhafter Art, in Versen oder Prosa, und zum Theil nicht ganz kunstlos vorgetragen. Aber diese Literatur versank in den Stürmen der Zeit, und was seit dem Anbrechen der neueren Bildung an ihre Stelle trat, war, einige wenige und obendrein recht zweifelhafte Versuche abgerechnet, weit entfernt, dem Begriff der Novelle zu entsprechen.
So sind u. A. die kleinen Erzählungen, welche der bekannte Johann Heinrich Merck zu Anfang
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heysekurz_einleitung_1871/5>, abgerufen am 03.07.2024. |