Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nacht vom Thurm schlagen, und noch regte sich nichts. Einer der Saltner, der das Nachbargut hütete, strich bei seiner Runde an Andree vorbei. Heut kommen sie nicht, sagte er. Ich geh' hinauf in die Hütten. Passirt was, so brauchst nur pfeifen. -- Gute Nacht! murmelte Andrer. Es war ihm lieb, daß der Kamerad zu schlafen vorzog. Er hätte am liebsten ganz allein Mann an Mann mit dem Welschen zu thun gehabt.

Wieder eine halbe Stunde verging, da horchte plötzlich der Einsame hoch auf. Unfern von ihm, wo ein Bauernhof zwischen den Weingütern sich an den Berg lehnte, erscholl ein gewaltiges Brüllen, und gleich darauf stürmte unter heftigem Krachen zersplitternder Geländerstäbe eine dunkle Maste heran, die nichts Menschlichem glich. Der Lauschende sprang auf seine Füße, das Herz klopfte ihm, unwillkürlich schlug er ein Kreuz. Stufen und Mauerwerk trennten ihn von der Laube drüben, im Nu stand er auf dem Rande der Brustwehr und spähte, auf die Hellebarde gestützt, athemlos in das nachbarliche Revier, aus dem der Lärmen erscholl. Es kam näher und näher, ein Geheul wie von einem angeschossenen Thier der Wildniß, das wüthend den Jäger sucht. Und jetzt donnerte es drüben dumpf gegen die Mauer, die Steine wichen aus den Fugen, stürzten prasselnd die Stufen hinab, und nach stürzte durch die Bresche, sich überschlagend im Fall, das räthselhafte Ungethüm mit solcher Gewalt in den

nacht vom Thurm schlagen, und noch regte sich nichts. Einer der Saltner, der das Nachbargut hütete, strich bei seiner Runde an Andree vorbei. Heut kommen sie nicht, sagte er. Ich geh' hinauf in die Hütten. Passirt was, so brauchst nur pfeifen. — Gute Nacht! murmelte Andrer. Es war ihm lieb, daß der Kamerad zu schlafen vorzog. Er hätte am liebsten ganz allein Mann an Mann mit dem Welschen zu thun gehabt.

Wieder eine halbe Stunde verging, da horchte plötzlich der Einsame hoch auf. Unfern von ihm, wo ein Bauernhof zwischen den Weingütern sich an den Berg lehnte, erscholl ein gewaltiges Brüllen, und gleich darauf stürmte unter heftigem Krachen zersplitternder Geländerstäbe eine dunkle Maste heran, die nichts Menschlichem glich. Der Lauschende sprang auf seine Füße, das Herz klopfte ihm, unwillkürlich schlug er ein Kreuz. Stufen und Mauerwerk trennten ihn von der Laube drüben, im Nu stand er auf dem Rande der Brustwehr und spähte, auf die Hellebarde gestützt, athemlos in das nachbarliche Revier, aus dem der Lärmen erscholl. Es kam näher und näher, ein Geheul wie von einem angeschossenen Thier der Wildniß, das wüthend den Jäger sucht. Und jetzt donnerte es drüben dumpf gegen die Mauer, die Steine wichen aus den Fugen, stürzten prasselnd die Stufen hinab, und nach stürzte durch die Bresche, sich überschlagend im Fall, das räthselhafte Ungethüm mit solcher Gewalt in den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0059"/>
nacht vom Thurm schlagen, und noch regte sich nichts. Einer der Saltner, der das     Nachbargut hütete, strich bei seiner Runde an Andree vorbei. Heut kommen sie nicht, sagte er.     Ich geh' hinauf in die Hütten. Passirt was, so brauchst nur pfeifen. &#x2014; Gute Nacht! murmelte     Andrer. Es war ihm lieb, daß der Kamerad zu schlafen vorzog. Er hätte am liebsten ganz allein     Mann an Mann mit dem Welschen zu thun gehabt.</p><lb/>
        <p>Wieder eine halbe Stunde verging, da horchte plötzlich der Einsame hoch auf. Unfern von ihm,     wo ein Bauernhof zwischen den Weingütern sich an den Berg lehnte, erscholl ein gewaltiges     Brüllen, und gleich darauf stürmte unter heftigem Krachen zersplitternder Geländerstäbe eine     dunkle Maste heran, die nichts Menschlichem glich. Der Lauschende sprang auf seine Füße, das     Herz klopfte ihm, unwillkürlich schlug er ein Kreuz. Stufen und Mauerwerk trennten ihn von der     Laube drüben, im Nu stand er auf dem Rande der Brustwehr und spähte, auf die Hellebarde     gestützt, athemlos in das nachbarliche Revier, aus dem der Lärmen erscholl. Es kam näher und     näher, ein Geheul wie von einem angeschossenen Thier der Wildniß, das wüthend den Jäger sucht.     Und jetzt donnerte es drüben dumpf gegen die Mauer, die Steine wichen aus den Fugen, stürzten     prasselnd die Stufen hinab, und nach stürzte durch die Bresche, sich überschlagend im Fall, das     räthselhafte Ungethüm mit solcher Gewalt in den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] nacht vom Thurm schlagen, und noch regte sich nichts. Einer der Saltner, der das Nachbargut hütete, strich bei seiner Runde an Andree vorbei. Heut kommen sie nicht, sagte er. Ich geh' hinauf in die Hütten. Passirt was, so brauchst nur pfeifen. — Gute Nacht! murmelte Andrer. Es war ihm lieb, daß der Kamerad zu schlafen vorzog. Er hätte am liebsten ganz allein Mann an Mann mit dem Welschen zu thun gehabt. Wieder eine halbe Stunde verging, da horchte plötzlich der Einsame hoch auf. Unfern von ihm, wo ein Bauernhof zwischen den Weingütern sich an den Berg lehnte, erscholl ein gewaltiges Brüllen, und gleich darauf stürmte unter heftigem Krachen zersplitternder Geländerstäbe eine dunkle Maste heran, die nichts Menschlichem glich. Der Lauschende sprang auf seine Füße, das Herz klopfte ihm, unwillkürlich schlug er ein Kreuz. Stufen und Mauerwerk trennten ihn von der Laube drüben, im Nu stand er auf dem Rande der Brustwehr und spähte, auf die Hellebarde gestützt, athemlos in das nachbarliche Revier, aus dem der Lärmen erscholl. Es kam näher und näher, ein Geheul wie von einem angeschossenen Thier der Wildniß, das wüthend den Jäger sucht. Und jetzt donnerte es drüben dumpf gegen die Mauer, die Steine wichen aus den Fugen, stürzten prasselnd die Stufen hinab, und nach stürzte durch die Bresche, sich überschlagend im Fall, das räthselhafte Ungethüm mit solcher Gewalt in den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/59
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/59>, abgerufen am 25.11.2024.