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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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keine Woche verging, wo sie ihn nicht aufsuchte, ungerechnet ihr Wiedersehen an den Sonntagen? Täglich, stündlich war er ihre Nähe gewohnt gewesen. Jenes kindische Heimweh, das ihn vom Zehnuhrmesser fortgetrieben hatte, wuchs ihm oft genug, wenn er nach heißer Arbeit unter den Kastanienzweigen saß, so unbezwinglich über den Kopf, daß er den schroffen Abhang des Berges dicht über dem Dorfe Grätsch hinanstürmte, um nur vor Schlafengehen noch das Dach des Häuschens zu sehen, oder gar Etwas, das dem Mädchen selber glich. Auch geschah es mehr als Einmal, zumal an Feiertagen, wenn sie an den verabredeten Ort nicht kam, daß er in fiebernder Eifersucht die Wege nach ihrem Hause bewachte, ob etwa ein Besuch sie zurückhalte. Er lag dann förmlich im Hinterhalt. Kam ein Bursch vorbei, bergab schreitend, so stellte er sich schlafend, um seine Mienen auszukundschaften. Ihm war unselig dabei zu Muth. Eine Ahnung dämmerte in ihm auf, dies Alles sei nicht recht und löblich. Warum gönnte er der Schwester nicht, was allen Mädchen zukam, Freiheit in Wünschen und Neigungen? Mit heißer Angst jagte er diese Gedanken von dannen, die immer zudringlicher zurückkamen. Freilich, ihr Vater war nicht der seine. Aber waren sie darum weniger Geschwister?

Oft genug kam es ihm auch, daß er fort müsse, daß es ihm draußen leichter ums Herz werden würde. Was stand ihm auch im Wege? Was hielt ihn? Hier

keine Woche verging, wo sie ihn nicht aufsuchte, ungerechnet ihr Wiedersehen an den Sonntagen? Täglich, stündlich war er ihre Nähe gewohnt gewesen. Jenes kindische Heimweh, das ihn vom Zehnuhrmesser fortgetrieben hatte, wuchs ihm oft genug, wenn er nach heißer Arbeit unter den Kastanienzweigen saß, so unbezwinglich über den Kopf, daß er den schroffen Abhang des Berges dicht über dem Dorfe Grätsch hinanstürmte, um nur vor Schlafengehen noch das Dach des Häuschens zu sehen, oder gar Etwas, das dem Mädchen selber glich. Auch geschah es mehr als Einmal, zumal an Feiertagen, wenn sie an den verabredeten Ort nicht kam, daß er in fiebernder Eifersucht die Wege nach ihrem Hause bewachte, ob etwa ein Besuch sie zurückhalte. Er lag dann förmlich im Hinterhalt. Kam ein Bursch vorbei, bergab schreitend, so stellte er sich schlafend, um seine Mienen auszukundschaften. Ihm war unselig dabei zu Muth. Eine Ahnung dämmerte in ihm auf, dies Alles sei nicht recht und löblich. Warum gönnte er der Schwester nicht, was allen Mädchen zukam, Freiheit in Wünschen und Neigungen? Mit heißer Angst jagte er diese Gedanken von dannen, die immer zudringlicher zurückkamen. Freilich, ihr Vater war nicht der seine. Aber waren sie darum weniger Geschwister?

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[0053] keine Woche verging, wo sie ihn nicht aufsuchte, ungerechnet ihr Wiedersehen an den Sonntagen? Täglich, stündlich war er ihre Nähe gewohnt gewesen. Jenes kindische Heimweh, das ihn vom Zehnuhrmesser fortgetrieben hatte, wuchs ihm oft genug, wenn er nach heißer Arbeit unter den Kastanienzweigen saß, so unbezwinglich über den Kopf, daß er den schroffen Abhang des Berges dicht über dem Dorfe Grätsch hinanstürmte, um nur vor Schlafengehen noch das Dach des Häuschens zu sehen, oder gar Etwas, das dem Mädchen selber glich. Auch geschah es mehr als Einmal, zumal an Feiertagen, wenn sie an den verabredeten Ort nicht kam, daß er in fiebernder Eifersucht die Wege nach ihrem Hause bewachte, ob etwa ein Besuch sie zurückhalte. Er lag dann förmlich im Hinterhalt. Kam ein Bursch vorbei, bergab schreitend, so stellte er sich schlafend, um seine Mienen auszukundschaften. Ihm war unselig dabei zu Muth. Eine Ahnung dämmerte in ihm auf, dies Alles sei nicht recht und löblich. Warum gönnte er der Schwester nicht, was allen Mädchen zukam, Freiheit in Wünschen und Neigungen? Mit heißer Angst jagte er diese Gedanken von dannen, die immer zudringlicher zurückkamen. Freilich, ihr Vater war nicht der seine. Aber waren sie darum weniger Geschwister? Oft genug kam es ihm auch, daß er fort müsse, daß es ihm draußen leichter ums Herz werden würde. Was stand ihm auch im Wege? Was hielt ihn? Hier

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/53>, abgerufen am 24.11.2024.