Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu Hülfe kommen konnte. Und so wurde der Knabe, weil der Meßner, ebenfalls aushelfend, seinen Namen hergab, Andree getauft und mit großem Gefolge von der glückstrahlenden Mutter wieder durch die Stadt getragen, hinauf in den elenden Schuppen, wo er in der Nachbarschaft der Hausthiere seine ersten Blicke in die Welt thun sollte. Es dauerte nicht lange, so sprach kein Mensch mehr von diesen immerhin denkwürdigen Ereignissen, zumal da die Moidi sich nirgends sehen ließ, nur für das Kind lebte und all ihre früheren Narrheiten in die eine Leidenschaft der zärtlichsten Affenliebe versammelt zu haben schien. Denn wie früher ihre eigene Person, so putzte und behing sie jetzt dem kleinen Andree mit Allem, was ihr irgend dazu dienlich schien. Man konnte sie droben auf einem schattigen Fleck stundenlang sitzen sehen, Kränze windend für das Kind und aus alten bunten Seidentüchern seltsame Kleider für ihn zurechtstoppelnd, mit denen sie ihn wie eine Puppe ausschmückte und stolz jedem Vorübergehenden zeigte. Da dies Treiben zwar auffallend, aber doch unschuldig war, ließ man sie gewähren. Nur der Joseph Hirzer legte den größten Abscheu gegen sie an den Tag und verbot der Anna aufs Strengste, mit ihrem Pathenkinde irgend welchen Verkehr zu pflegen. Die Moidi schien wenig danach zu fragen. Als ein Jahr darauf ihr einst so schmerzlich Geliebter sich mit einer steinreichen Bauerntochter aus Algund ver- zu Hülfe kommen konnte. Und so wurde der Knabe, weil der Meßner, ebenfalls aushelfend, seinen Namen hergab, Andree getauft und mit großem Gefolge von der glückstrahlenden Mutter wieder durch die Stadt getragen, hinauf in den elenden Schuppen, wo er in der Nachbarschaft der Hausthiere seine ersten Blicke in die Welt thun sollte. Es dauerte nicht lange, so sprach kein Mensch mehr von diesen immerhin denkwürdigen Ereignissen, zumal da die Moidi sich nirgends sehen ließ, nur für das Kind lebte und all ihre früheren Narrheiten in die eine Leidenschaft der zärtlichsten Affenliebe versammelt zu haben schien. Denn wie früher ihre eigene Person, so putzte und behing sie jetzt dem kleinen Andree mit Allem, was ihr irgend dazu dienlich schien. Man konnte sie droben auf einem schattigen Fleck stundenlang sitzen sehen, Kränze windend für das Kind und aus alten bunten Seidentüchern seltsame Kleider für ihn zurechtstoppelnd, mit denen sie ihn wie eine Puppe ausschmückte und stolz jedem Vorübergehenden zeigte. Da dies Treiben zwar auffallend, aber doch unschuldig war, ließ man sie gewähren. Nur der Joseph Hirzer legte den größten Abscheu gegen sie an den Tag und verbot der Anna aufs Strengste, mit ihrem Pathenkinde irgend welchen Verkehr zu pflegen. Die Moidi schien wenig danach zu fragen. Als ein Jahr darauf ihr einst so schmerzlich Geliebter sich mit einer steinreichen Bauerntochter aus Algund ver- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0039"/> zu Hülfe kommen konnte. Und so wurde der Knabe, weil der Meßner, ebenfalls aushelfend, seinen Namen hergab, Andree getauft und mit großem Gefolge von der glückstrahlenden Mutter wieder durch die Stadt getragen, hinauf in den elenden Schuppen, wo er in der Nachbarschaft der Hausthiere seine ersten Blicke in die Welt thun sollte.</p><lb/> <p>Es dauerte nicht lange, so sprach kein Mensch mehr von diesen immerhin denkwürdigen Ereignissen, zumal da die Moidi sich nirgends sehen ließ, nur für das Kind lebte und all ihre früheren Narrheiten in die eine Leidenschaft der zärtlichsten Affenliebe versammelt zu haben schien. Denn wie früher ihre eigene Person, so putzte und behing sie jetzt dem kleinen Andree mit Allem, was ihr irgend dazu dienlich schien. Man konnte sie droben auf einem schattigen Fleck stundenlang sitzen sehen, Kränze windend für das Kind und aus alten bunten Seidentüchern seltsame Kleider für ihn zurechtstoppelnd, mit denen sie ihn wie eine Puppe ausschmückte und stolz jedem Vorübergehenden zeigte. Da dies Treiben zwar auffallend, aber doch unschuldig war, ließ man sie gewähren. Nur der Joseph Hirzer legte den größten Abscheu gegen sie an den Tag und verbot der Anna aufs Strengste, mit ihrem Pathenkinde irgend welchen Verkehr zu pflegen.</p><lb/> <p>Die Moidi schien wenig danach zu fragen. Als ein Jahr darauf ihr einst so schmerzlich Geliebter sich mit einer steinreichen Bauerntochter aus Algund ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
zu Hülfe kommen konnte. Und so wurde der Knabe, weil der Meßner, ebenfalls aushelfend, seinen Namen hergab, Andree getauft und mit großem Gefolge von der glückstrahlenden Mutter wieder durch die Stadt getragen, hinauf in den elenden Schuppen, wo er in der Nachbarschaft der Hausthiere seine ersten Blicke in die Welt thun sollte.
Es dauerte nicht lange, so sprach kein Mensch mehr von diesen immerhin denkwürdigen Ereignissen, zumal da die Moidi sich nirgends sehen ließ, nur für das Kind lebte und all ihre früheren Narrheiten in die eine Leidenschaft der zärtlichsten Affenliebe versammelt zu haben schien. Denn wie früher ihre eigene Person, so putzte und behing sie jetzt dem kleinen Andree mit Allem, was ihr irgend dazu dienlich schien. Man konnte sie droben auf einem schattigen Fleck stundenlang sitzen sehen, Kränze windend für das Kind und aus alten bunten Seidentüchern seltsame Kleider für ihn zurechtstoppelnd, mit denen sie ihn wie eine Puppe ausschmückte und stolz jedem Vorübergehenden zeigte. Da dies Treiben zwar auffallend, aber doch unschuldig war, ließ man sie gewähren. Nur der Joseph Hirzer legte den größten Abscheu gegen sie an den Tag und verbot der Anna aufs Strengste, mit ihrem Pathenkinde irgend welchen Verkehr zu pflegen.
Die Moidi schien wenig danach zu fragen. Als ein Jahr darauf ihr einst so schmerzlich Geliebter sich mit einer steinreichen Bauerntochter aus Algund ver-
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/39>, abgerufen am 16.07.2024. |