Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zuletzt durch einen mitleidigen Halbschlaf von seinen hülflosen Gedanken erlös't, als ein helles Lachen, das unten am Weg erscholl, ihn jählings erweckte. Einen Augenblick lag er still, sich zu besinnen, ob er's nicht etwa geträumt habe. Aber eine helle Stimme drang zu ihm herauf und dasselbe unschuldig trillernde und girrende Mädchenlachen, das sich von fern fast wie der Gesang eines Vogels ausnahm. Im Nu war der Jüngling aufgesprungen und an ein Lugloch gestürzt, das den Blick hinunter frei ließ. Auf dem nämlichen Weg unter den Weiden, den der geistliche Herr vorhin gewandelt war, kam, diesmal aber von der Stadtseite, ein Mädchen, das nicht über siebzehn Jahr sein konnte, blond, eher klein als groß, in der dunklen, schwerfälligen Landestracht. Aber die Bewegungen der zierlichen Gestalt, so langsam und behaglich sie einherschritt, waren so leicht und anmuthig, daß jedes Auge ihr unwillkürlich folgen mußte. Sie hatte die Hände ruhig in einander gelegt, wie es die Art der Mädchen hier zu Lande ist, wenn sie nichts zu tragen haben. Der runde Kopf aber blieb keinen Augenblick still auf dem schlanken Nacken, sondern wendete sich wie bei einem Vogel rastlos nach allen Seiten, am häufigsten freilich zu ihrem Begleiter, über dessen scherzhafte Reden sie beständig in ein neues Lachen ausbrach. Das war ein gewandter, rühriger Gesell, dem die leinene Soldatenjacke, die eng anschließenden blauen Hosen und die schiefe blaue Kappe ohne Schirm nicht zuletzt durch einen mitleidigen Halbschlaf von seinen hülflosen Gedanken erlös't, als ein helles Lachen, das unten am Weg erscholl, ihn jählings erweckte. Einen Augenblick lag er still, sich zu besinnen, ob er's nicht etwa geträumt habe. Aber eine helle Stimme drang zu ihm herauf und dasselbe unschuldig trillernde und girrende Mädchenlachen, das sich von fern fast wie der Gesang eines Vogels ausnahm. Im Nu war der Jüngling aufgesprungen und an ein Lugloch gestürzt, das den Blick hinunter frei ließ. Auf dem nämlichen Weg unter den Weiden, den der geistliche Herr vorhin gewandelt war, kam, diesmal aber von der Stadtseite, ein Mädchen, das nicht über siebzehn Jahr sein konnte, blond, eher klein als groß, in der dunklen, schwerfälligen Landestracht. Aber die Bewegungen der zierlichen Gestalt, so langsam und behaglich sie einherschritt, waren so leicht und anmuthig, daß jedes Auge ihr unwillkürlich folgen mußte. Sie hatte die Hände ruhig in einander gelegt, wie es die Art der Mädchen hier zu Lande ist, wenn sie nichts zu tragen haben. Der runde Kopf aber blieb keinen Augenblick still auf dem schlanken Nacken, sondern wendete sich wie bei einem Vogel rastlos nach allen Seiten, am häufigsten freilich zu ihrem Begleiter, über dessen scherzhafte Reden sie beständig in ein neues Lachen ausbrach. Das war ein gewandter, rühriger Gesell, dem die leinene Soldatenjacke, die eng anschließenden blauen Hosen und die schiefe blaue Kappe ohne Schirm nicht <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0018"/> zuletzt durch einen mitleidigen Halbschlaf von seinen hülflosen Gedanken erlös't, als ein helles Lachen, das unten am Weg erscholl, ihn jählings erweckte. Einen Augenblick lag er still, sich zu besinnen, ob er's nicht etwa geträumt habe. Aber eine helle Stimme drang zu ihm herauf und dasselbe unschuldig trillernde und girrende Mädchenlachen, das sich von fern fast wie der Gesang eines Vogels ausnahm. Im Nu war der Jüngling aufgesprungen und an ein Lugloch gestürzt, das den Blick hinunter frei ließ. Auf dem nämlichen Weg unter den Weiden, den der geistliche Herr vorhin gewandelt war, kam, diesmal aber von der Stadtseite, ein Mädchen, das nicht über siebzehn Jahr sein konnte, blond, eher klein als groß, in der dunklen, schwerfälligen Landestracht. Aber die Bewegungen der zierlichen Gestalt, so langsam und behaglich sie einherschritt, waren so leicht und anmuthig, daß jedes Auge ihr unwillkürlich folgen mußte. Sie hatte die Hände ruhig in einander gelegt, wie es die Art der Mädchen hier zu Lande ist, wenn sie nichts zu tragen haben. Der runde Kopf aber blieb keinen Augenblick still auf dem schlanken Nacken, sondern wendete sich wie bei einem Vogel rastlos nach allen Seiten, am häufigsten freilich zu ihrem Begleiter, über dessen scherzhafte Reden sie beständig in ein neues Lachen ausbrach. Das war ein gewandter, rühriger Gesell, dem die leinene Soldatenjacke, die eng anschließenden blauen Hosen und die schiefe blaue Kappe ohne Schirm nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
zuletzt durch einen mitleidigen Halbschlaf von seinen hülflosen Gedanken erlös't, als ein helles Lachen, das unten am Weg erscholl, ihn jählings erweckte. Einen Augenblick lag er still, sich zu besinnen, ob er's nicht etwa geträumt habe. Aber eine helle Stimme drang zu ihm herauf und dasselbe unschuldig trillernde und girrende Mädchenlachen, das sich von fern fast wie der Gesang eines Vogels ausnahm. Im Nu war der Jüngling aufgesprungen und an ein Lugloch gestürzt, das den Blick hinunter frei ließ. Auf dem nämlichen Weg unter den Weiden, den der geistliche Herr vorhin gewandelt war, kam, diesmal aber von der Stadtseite, ein Mädchen, das nicht über siebzehn Jahr sein konnte, blond, eher klein als groß, in der dunklen, schwerfälligen Landestracht. Aber die Bewegungen der zierlichen Gestalt, so langsam und behaglich sie einherschritt, waren so leicht und anmuthig, daß jedes Auge ihr unwillkürlich folgen mußte. Sie hatte die Hände ruhig in einander gelegt, wie es die Art der Mädchen hier zu Lande ist, wenn sie nichts zu tragen haben. Der runde Kopf aber blieb keinen Augenblick still auf dem schlanken Nacken, sondern wendete sich wie bei einem Vogel rastlos nach allen Seiten, am häufigsten freilich zu ihrem Begleiter, über dessen scherzhafte Reden sie beständig in ein neues Lachen ausbrach. Das war ein gewandter, rühriger Gesell, dem die leinene Soldatenjacke, die eng anschließenden blauen Hosen und die schiefe blaue Kappe ohne Schirm nicht
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/18>, abgerufen am 16.07.2024. |