Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ausnehmen und Setzlinge pflanzen, denn sie haben sich schier zu Tod getragen. Auf wie viel Uhren rechnet ihr beiläufig? Einhundertundvierzig bis siebenzig immerhin. Wie steht dir das Saltnern an, Andree? Es mag hart werden auf die Länge. Ha, es passirt, Hochwürden. Noch spür' ich's nicht in den Gliedern. Hast auch bei Nacht sein die Augen offen? Die meinigen wohl. Aber sind nur zwei, und ich müßt' ein Dutzend haben, um allerorten zugleich nachzuschauen. Die Weißröcke fangen wieder an, bei Nacht herumzufouragiren; die Weinbeeren sind ihnen grad saftig genug, um ihr Kommißbrod anzufeuchten, Und es kommen ihrer immer Viele auf einmal, aber einzeln, und wenn wir Einen fassen, haben indeß die Andern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm Hauptmann ist doch kein Recht zu erlangen. Die Stadt sollte sich beklagen. Ja die Stadt! Da müßten wir Zeugen und Beweise schaffen. Aber wer will's beschwören, wenn wir am Morgen ganze Strecken lang die besten Trauben gestohlen und links und rechts die Reben wie ein Unkraut mit dem Säbel zerhauen finden aus Wüstheit und Schadenfreude, daß das nur die Soldaten gethan haben können? Fassen wir einen am Kragen, so weiß er so wenig von Weinbeeren, wie's Kind im Mutterleib. Da bleibt nichts, als ihn auf ausnehmen und Setzlinge pflanzen, denn sie haben sich schier zu Tod getragen. Auf wie viel Uhren rechnet ihr beiläufig? Einhundertundvierzig bis siebenzig immerhin. Wie steht dir das Saltnern an, Andree? Es mag hart werden auf die Länge. Ha, es passirt, Hochwürden. Noch spür' ich's nicht in den Gliedern. Hast auch bei Nacht sein die Augen offen? Die meinigen wohl. Aber sind nur zwei, und ich müßt' ein Dutzend haben, um allerorten zugleich nachzuschauen. Die Weißröcke fangen wieder an, bei Nacht herumzufouragiren; die Weinbeeren sind ihnen grad saftig genug, um ihr Kommißbrod anzufeuchten, Und es kommen ihrer immer Viele auf einmal, aber einzeln, und wenn wir Einen fassen, haben indeß die Andern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm Hauptmann ist doch kein Recht zu erlangen. Die Stadt sollte sich beklagen. Ja die Stadt! Da müßten wir Zeugen und Beweise schaffen. Aber wer will's beschwören, wenn wir am Morgen ganze Strecken lang die besten Trauben gestohlen und links und rechts die Reben wie ein Unkraut mit dem Säbel zerhauen finden aus Wüstheit und Schadenfreude, daß das nur die Soldaten gethan haben können? Fassen wir einen am Kragen, so weiß er so wenig von Weinbeeren, wie's Kind im Mutterleib. Da bleibt nichts, als ihn auf <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0015"/> ausnehmen und Setzlinge pflanzen, denn sie haben sich schier zu Tod getragen.</p><lb/> <p>Auf wie viel Uhren rechnet ihr beiläufig?</p><lb/> <p>Einhundertundvierzig bis siebenzig immerhin.</p><lb/> <p>Wie steht dir das Saltnern an, Andree? Es mag hart werden auf die Länge.</p><lb/> <p>Ha, es passirt, Hochwürden. Noch spür' ich's nicht in den Gliedern.</p><lb/> <p>Hast auch bei Nacht sein die Augen offen?</p><lb/> <p>Die meinigen wohl. Aber sind nur zwei, und ich müßt' ein Dutzend haben, um allerorten zugleich nachzuschauen. Die Weißröcke fangen wieder an, bei Nacht herumzufouragiren; die Weinbeeren sind ihnen grad saftig genug, um ihr Kommißbrod anzufeuchten, Und es kommen ihrer immer Viele auf einmal, aber einzeln, und wenn wir Einen fassen, haben indeß die Andern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm Hauptmann ist doch kein Recht zu erlangen.</p><lb/> <p>Die Stadt sollte sich beklagen.</p><lb/> <p>Ja die Stadt! Da müßten wir Zeugen und Beweise schaffen. Aber wer will's beschwören, wenn wir am Morgen ganze Strecken lang die besten Trauben gestohlen und links und rechts die Reben wie ein Unkraut mit dem Säbel zerhauen finden aus Wüstheit und Schadenfreude, daß das nur die Soldaten gethan haben können? Fassen wir einen am Kragen, so weiß er so wenig von Weinbeeren, wie's Kind im Mutterleib. Da bleibt nichts, als ihn auf<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
ausnehmen und Setzlinge pflanzen, denn sie haben sich schier zu Tod getragen.
Auf wie viel Uhren rechnet ihr beiläufig?
Einhundertundvierzig bis siebenzig immerhin.
Wie steht dir das Saltnern an, Andree? Es mag hart werden auf die Länge.
Ha, es passirt, Hochwürden. Noch spür' ich's nicht in den Gliedern.
Hast auch bei Nacht sein die Augen offen?
Die meinigen wohl. Aber sind nur zwei, und ich müßt' ein Dutzend haben, um allerorten zugleich nachzuschauen. Die Weißröcke fangen wieder an, bei Nacht herumzufouragiren; die Weinbeeren sind ihnen grad saftig genug, um ihr Kommißbrod anzufeuchten, Und es kommen ihrer immer Viele auf einmal, aber einzeln, und wenn wir Einen fassen, haben indeß die Andern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm Hauptmann ist doch kein Recht zu erlangen.
Die Stadt sollte sich beklagen.
Ja die Stadt! Da müßten wir Zeugen und Beweise schaffen. Aber wer will's beschwören, wenn wir am Morgen ganze Strecken lang die besten Trauben gestohlen und links und rechts die Reben wie ein Unkraut mit dem Säbel zerhauen finden aus Wüstheit und Schadenfreude, daß das nur die Soldaten gethan haben können? Fassen wir einen am Kragen, so weiß er so wenig von Weinbeeren, wie's Kind im Mutterleib. Da bleibt nichts, als ihn auf
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/15>, abgerufen am 16.07.2024. |