Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sein herrisches Wesen die jungen Bursche gereizt hatte, völlig wieder ausgewogen. Und so hörte man unter den Haufen der Neugierigen nur finstere Reden und sah nur strenge Gesichter. Von Meran herauf gesellten sich nicht Wenige hinzu, auch ein stattlicher Trupp von den Weißjacken, die des Andree Abenteuer mit ihrem welschen Kameraden noch nicht vergessen hatten, und je länger das Geläut zur Kirche anhielt, desto zahlreicher strömte drüben aus den Passeirer Dörfern das Landvolk die steilen Bergpfade herauf. Denn seitdem man Reben am Küchelberg gezogen und Wein gekeltert hatte, war manche wilde blutige That und mancher empörende Frevel geschehen, aber einer Todsünde, die so frei und frank sich vor das Auge der Menschen gewagt hätte, konnte sich Niemand entsinnen. Während nun das Summen und Murren der Volksmenge immer noch anwuchs und doch Keiner wußte, was werden sollte, hörte man plötzlich, da gerade die Glocken eben verhallten, eine rauhe Stimme überlaut rufen: Schlagt die Thür ein! Mit den Fäusten will ich ihn herausschleppen, den Lump, den elenden, in Stücke will ich ihn zerfetzen, hin muß er werden, 's ist ihm geschworen, so wahr ich der Hirzerfranz bin, mit vier Rossen soll er zerrissen werden und Glied vor Glied in die Passier geschmissen, so gehört sich's dem Höllenhund, und wer was dawider hat, der soll's mit mir zu thun kriegen. sein herrisches Wesen die jungen Bursche gereizt hatte, völlig wieder ausgewogen. Und so hörte man unter den Haufen der Neugierigen nur finstere Reden und sah nur strenge Gesichter. Von Meran herauf gesellten sich nicht Wenige hinzu, auch ein stattlicher Trupp von den Weißjacken, die des Andree Abenteuer mit ihrem welschen Kameraden noch nicht vergessen hatten, und je länger das Geläut zur Kirche anhielt, desto zahlreicher strömte drüben aus den Passeirer Dörfern das Landvolk die steilen Bergpfade herauf. Denn seitdem man Reben am Küchelberg gezogen und Wein gekeltert hatte, war manche wilde blutige That und mancher empörende Frevel geschehen, aber einer Todsünde, die so frei und frank sich vor das Auge der Menschen gewagt hätte, konnte sich Niemand entsinnen. Während nun das Summen und Murren der Volksmenge immer noch anwuchs und doch Keiner wußte, was werden sollte, hörte man plötzlich, da gerade die Glocken eben verhallten, eine rauhe Stimme überlaut rufen: Schlagt die Thür ein! Mit den Fäusten will ich ihn herausschleppen, den Lump, den elenden, in Stücke will ich ihn zerfetzen, hin muß er werden, 's ist ihm geschworen, so wahr ich der Hirzerfranz bin, mit vier Rossen soll er zerrissen werden und Glied vor Glied in die Passier geschmissen, so gehört sich's dem Höllenhund, und wer was dawider hat, der soll's mit mir zu thun kriegen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0143"/> sein herrisches Wesen die jungen Bursche gereizt hatte, völlig wieder ausgewogen.</p><lb/> <p>Und so hörte man unter den Haufen der Neugierigen nur finstere Reden und sah nur strenge Gesichter. Von Meran herauf gesellten sich nicht Wenige hinzu, auch ein stattlicher Trupp von den Weißjacken, die des Andree Abenteuer mit ihrem welschen Kameraden noch nicht vergessen hatten, und je länger das Geläut zur Kirche anhielt, desto zahlreicher strömte drüben aus den Passeirer Dörfern das Landvolk die steilen Bergpfade herauf. Denn seitdem man Reben am Küchelberg gezogen und Wein gekeltert hatte, war manche wilde blutige That und mancher empörende Frevel geschehen, aber einer Todsünde, die so frei und frank sich vor das Auge der Menschen gewagt hätte, konnte sich Niemand entsinnen.</p><lb/> <p>Während nun das Summen und Murren der Volksmenge immer noch anwuchs und doch Keiner wußte, was werden sollte, hörte man plötzlich, da gerade die Glocken eben verhallten, eine rauhe Stimme überlaut rufen: Schlagt die Thür ein! Mit den Fäusten will ich ihn herausschleppen, den Lump, den elenden, in Stücke will ich ihn zerfetzen, hin muß er werden, 's ist ihm geschworen, so wahr ich der Hirzerfranz bin, mit vier Rossen soll er zerrissen werden und Glied vor Glied in die Passier geschmissen, so gehört sich's dem Höllenhund, und wer was dawider hat, der soll's mit mir zu thun kriegen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
sein herrisches Wesen die jungen Bursche gereizt hatte, völlig wieder ausgewogen.
Und so hörte man unter den Haufen der Neugierigen nur finstere Reden und sah nur strenge Gesichter. Von Meran herauf gesellten sich nicht Wenige hinzu, auch ein stattlicher Trupp von den Weißjacken, die des Andree Abenteuer mit ihrem welschen Kameraden noch nicht vergessen hatten, und je länger das Geläut zur Kirche anhielt, desto zahlreicher strömte drüben aus den Passeirer Dörfern das Landvolk die steilen Bergpfade herauf. Denn seitdem man Reben am Küchelberg gezogen und Wein gekeltert hatte, war manche wilde blutige That und mancher empörende Frevel geschehen, aber einer Todsünde, die so frei und frank sich vor das Auge der Menschen gewagt hätte, konnte sich Niemand entsinnen.
Während nun das Summen und Murren der Volksmenge immer noch anwuchs und doch Keiner wußte, was werden sollte, hörte man plötzlich, da gerade die Glocken eben verhallten, eine rauhe Stimme überlaut rufen: Schlagt die Thür ein! Mit den Fäusten will ich ihn herausschleppen, den Lump, den elenden, in Stücke will ich ihn zerfetzen, hin muß er werden, 's ist ihm geschworen, so wahr ich der Hirzerfranz bin, mit vier Rossen soll er zerrissen werden und Glied vor Glied in die Passier geschmissen, so gehört sich's dem Höllenhund, und wer was dawider hat, der soll's mit mir zu thun kriegen.
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/143>, abgerufen am 16.02.2025. |