Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Felsen gefallen, und hatte sich so schwer verletzt, daß er sich nur mühselig, eh es Tag wurde, bis nach Trautmannsdorf schleppen konnte und dort elendiglich darniederlag. Er verlangte gleich, sobald er zur Besinnung kam, fort, und so ließ ihn der Graf in seinem eigenen Wagen nach Venedig bringen, und kaum drei Wochen war er dort, so kam die Nachricht, daß er gestorben sei.

Der kleine Priester schwieg ein wenig, nahm bedächtig eine Prise aus dem Rindendöschen und sagte dann, vor sich hin blickend: Friede sei seiner Seele! Er war ein feiner und edelmüthiger Cavalier und stattlich von Gesicht und Statur. Der Andree ist sein wahres Ebenbild, nur daß er kleiner ist und die Augen von der Mutter hat. Niemals ist mir's so nah gegangen, wie damals, zu denken, warum doch der verschiedene Glaube unter den Menschen bestehen muß und der eine verdammen, der andere selig machen. Aber Gott hat es so eingesetzt, und wir kurzsichtigen Menschen müssen es hinnehmen. Ich war es selbst, der aus Venedig die Nachricht der Anna bringen mußte. Das war auch ein saurer Gang, meine Tochter! Es ist aber hernach wieder friedlich droben zugegangen, der Joseph und die Anna haben sich kein böses Wort drüber sagen dürfen, sie hatten sich Beide was zu vergeben. Und wie der Sommer kam, ist die Anna zum Schein nach Bozen abgereis't, heimlich aber ging sie auf die Alm zu deiner Mutter, denn

einen Felsen gefallen, und hatte sich so schwer verletzt, daß er sich nur mühselig, eh es Tag wurde, bis nach Trautmannsdorf schleppen konnte und dort elendiglich darniederlag. Er verlangte gleich, sobald er zur Besinnung kam, fort, und so ließ ihn der Graf in seinem eigenen Wagen nach Venedig bringen, und kaum drei Wochen war er dort, so kam die Nachricht, daß er gestorben sei.

Der kleine Priester schwieg ein wenig, nahm bedächtig eine Prise aus dem Rindendöschen und sagte dann, vor sich hin blickend: Friede sei seiner Seele! Er war ein feiner und edelmüthiger Cavalier und stattlich von Gesicht und Statur. Der Andree ist sein wahres Ebenbild, nur daß er kleiner ist und die Augen von der Mutter hat. Niemals ist mir's so nah gegangen, wie damals, zu denken, warum doch der verschiedene Glaube unter den Menschen bestehen muß und der eine verdammen, der andere selig machen. Aber Gott hat es so eingesetzt, und wir kurzsichtigen Menschen müssen es hinnehmen. Ich war es selbst, der aus Venedig die Nachricht der Anna bringen mußte. Das war auch ein saurer Gang, meine Tochter! Es ist aber hernach wieder friedlich droben zugegangen, der Joseph und die Anna haben sich kein böses Wort drüber sagen dürfen, sie hatten sich Beide was zu vergeben. Und wie der Sommer kam, ist die Anna zum Schein nach Bozen abgereis't, heimlich aber ging sie auf die Alm zu deiner Mutter, denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0132"/>
einen Felsen gefallen, und hatte sich so schwer verletzt, daß er sich     nur mühselig, eh es Tag wurde, bis nach Trautmannsdorf schleppen konnte und dort elendiglich     darniederlag. Er verlangte gleich, sobald er zur Besinnung kam, fort, und so ließ ihn der Graf     in seinem eigenen Wagen nach Venedig bringen, und kaum drei Wochen war er dort, so kam die     Nachricht, daß er gestorben sei.</p><lb/>
        <p>Der kleine Priester schwieg ein wenig, nahm bedächtig eine Prise aus dem Rindendöschen und     sagte dann, vor sich hin blickend: Friede sei seiner Seele! Er war ein feiner und edelmüthiger     Cavalier und stattlich von Gesicht und Statur. Der Andree ist sein wahres Ebenbild, nur daß er     kleiner ist und die Augen von der Mutter hat. Niemals ist mir's so nah gegangen, wie damals, zu     denken, warum doch der verschiedene Glaube unter den Menschen bestehen muß und der eine     verdammen, der andere selig machen. Aber Gott hat es so eingesetzt, und wir kurzsichtigen     Menschen müssen es hinnehmen. Ich war es selbst, der aus Venedig die Nachricht der Anna bringen     mußte. Das war auch ein saurer Gang, meine Tochter! Es ist aber hernach wieder friedlich droben     zugegangen, der Joseph und die Anna haben sich kein böses Wort drüber sagen dürfen, sie hatten     sich Beide was zu vergeben. Und wie der Sommer kam, ist die Anna zum Schein nach Bozen     abgereis't, heimlich aber ging sie auf die Alm zu deiner Mutter, denn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] einen Felsen gefallen, und hatte sich so schwer verletzt, daß er sich nur mühselig, eh es Tag wurde, bis nach Trautmannsdorf schleppen konnte und dort elendiglich darniederlag. Er verlangte gleich, sobald er zur Besinnung kam, fort, und so ließ ihn der Graf in seinem eigenen Wagen nach Venedig bringen, und kaum drei Wochen war er dort, so kam die Nachricht, daß er gestorben sei. Der kleine Priester schwieg ein wenig, nahm bedächtig eine Prise aus dem Rindendöschen und sagte dann, vor sich hin blickend: Friede sei seiner Seele! Er war ein feiner und edelmüthiger Cavalier und stattlich von Gesicht und Statur. Der Andree ist sein wahres Ebenbild, nur daß er kleiner ist und die Augen von der Mutter hat. Niemals ist mir's so nah gegangen, wie damals, zu denken, warum doch der verschiedene Glaube unter den Menschen bestehen muß und der eine verdammen, der andere selig machen. Aber Gott hat es so eingesetzt, und wir kurzsichtigen Menschen müssen es hinnehmen. Ich war es selbst, der aus Venedig die Nachricht der Anna bringen mußte. Das war auch ein saurer Gang, meine Tochter! Es ist aber hernach wieder friedlich droben zugegangen, der Joseph und die Anna haben sich kein böses Wort drüber sagen dürfen, sie hatten sich Beide was zu vergeben. Und wie der Sommer kam, ist die Anna zum Schein nach Bozen abgereis't, heimlich aber ging sie auf die Alm zu deiner Mutter, denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/132
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/132>, abgerufen am 22.11.2024.