Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die Welt gegangen waren, so haben wir's auf dem Heimweg hundertfach abgebüßt, zumal ich selber, da ich's für sie mitzutragen hatte. Und denken Sie nur, als wir wieder an die Bergspitze kamen, wo ich uns im Frühling zusammengegeben hatte, war das Kreuz verschwunden. Wahrscheinlich haben's die Stürme hinuntergerissen. Aber der Moidi fiel es aufs Herz, wie wenn das damals nur ein Blendwerk des Teufels gewesen wäre, der uns in die sündhafte Ehe hätte verlocken wollen, und sie fiel mir ohnmächtig in die Arme, und eine Stunde lang hatt' ich zu thun, sie wieder zu sich zu bringen. -- -- Er schwieg, und es überschauerte ihn sichtbar wie ein Fieberfrost, in der Erinnerung an alle überstandenen Drangsale. Der geistliche Herr war längst aufgestanden und hatte hin und her wandelnd die Beichte mit angehört, während er in immer kürzeren Pausen aus seinem Döschen von Birkenrinde schnupfte. Die letzte Prise hielt er lange zwischen Daumen und Zeigefinger und stand dabei still vor einem großen Kupferstich, die Magdalene in der Wüste darstellend, dem einzigen Schmuck seiner kahlen vier Wände. Er getraute sich nicht, dem Rath- und Hülfesuchenden das Gesicht zuzuwenden, denn der Fall war so schwierig, daß er wenig Hoffnung hatte, Alles glücklich hinauszuführen. Wo ist sie jetzt? fragte er endlich kleinlaut. Droben in unserm Häusel auf dem Küchelberg, die Welt gegangen waren, so haben wir's auf dem Heimweg hundertfach abgebüßt, zumal ich selber, da ich's für sie mitzutragen hatte. Und denken Sie nur, als wir wieder an die Bergspitze kamen, wo ich uns im Frühling zusammengegeben hatte, war das Kreuz verschwunden. Wahrscheinlich haben's die Stürme hinuntergerissen. Aber der Moidi fiel es aufs Herz, wie wenn das damals nur ein Blendwerk des Teufels gewesen wäre, der uns in die sündhafte Ehe hätte verlocken wollen, und sie fiel mir ohnmächtig in die Arme, und eine Stunde lang hatt' ich zu thun, sie wieder zu sich zu bringen. — — Er schwieg, und es überschauerte ihn sichtbar wie ein Fieberfrost, in der Erinnerung an alle überstandenen Drangsale. Der geistliche Herr war längst aufgestanden und hatte hin und her wandelnd die Beichte mit angehört, während er in immer kürzeren Pausen aus seinem Döschen von Birkenrinde schnupfte. Die letzte Prise hielt er lange zwischen Daumen und Zeigefinger und stand dabei still vor einem großen Kupferstich, die Magdalene in der Wüste darstellend, dem einzigen Schmuck seiner kahlen vier Wände. Er getraute sich nicht, dem Rath- und Hülfesuchenden das Gesicht zuzuwenden, denn der Fall war so schwierig, daß er wenig Hoffnung hatte, Alles glücklich hinauszuführen. Wo ist sie jetzt? fragte er endlich kleinlaut. Droben in unserm Häusel auf dem Küchelberg, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0119"/> die Welt gegangen waren, so haben wir's auf dem Heimweg hundertfach abgebüßt, zumal ich selber, da ich's für sie mitzutragen hatte. Und denken Sie nur, als wir wieder an die Bergspitze kamen, wo ich uns im Frühling zusammengegeben hatte, war das Kreuz verschwunden. Wahrscheinlich haben's die Stürme hinuntergerissen. Aber der Moidi fiel es aufs Herz, wie wenn das damals nur ein Blendwerk des Teufels gewesen wäre, der uns in die sündhafte Ehe hätte verlocken wollen, und sie fiel mir ohnmächtig in die Arme, und eine Stunde lang hatt' ich zu thun, sie wieder zu sich zu bringen. — —</p><lb/> <p>Er schwieg, und es überschauerte ihn sichtbar wie ein Fieberfrost, in der Erinnerung an alle überstandenen Drangsale. Der geistliche Herr war längst aufgestanden und hatte hin und her wandelnd die Beichte mit angehört, während er in immer kürzeren Pausen aus seinem Döschen von Birkenrinde schnupfte. Die letzte Prise hielt er lange zwischen Daumen und Zeigefinger und stand dabei still vor einem großen Kupferstich, die Magdalene in der Wüste darstellend, dem einzigen Schmuck seiner kahlen vier Wände. Er getraute sich nicht, dem Rath- und Hülfesuchenden das Gesicht zuzuwenden, denn der Fall war so schwierig, daß er wenig Hoffnung hatte, Alles glücklich hinauszuführen.</p><lb/> <p>Wo ist sie jetzt? fragte er endlich kleinlaut.</p><lb/> <p>Droben in unserm Häusel auf dem Küchelberg,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
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Er schwieg, und es überschauerte ihn sichtbar wie ein Fieberfrost, in der Erinnerung an alle überstandenen Drangsale. Der geistliche Herr war längst aufgestanden und hatte hin und her wandelnd die Beichte mit angehört, während er in immer kürzeren Pausen aus seinem Döschen von Birkenrinde schnupfte. Die letzte Prise hielt er lange zwischen Daumen und Zeigefinger und stand dabei still vor einem großen Kupferstich, die Magdalene in der Wüste darstellend, dem einzigen Schmuck seiner kahlen vier Wände. Er getraute sich nicht, dem Rath- und Hülfesuchenden das Gesicht zuzuwenden, denn der Fall war so schwierig, daß er wenig Hoffnung hatte, Alles glücklich hinauszuführen.
Wo ist sie jetzt? fragte er endlich kleinlaut.
Droben in unserm Häusel auf dem Küchelberg,
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/119>, abgerufen am 16.02.2025. |