zur Linken mit den Primeln und Monatsrosen? Du hast es sonst nicht gesehn. Weißt du, wer da schläft? Mein guter, alter Freund, der Vater unsrer Marlene."
Er trat vom Fenster zurück, an dem der Sohn ergriffen stehn blieb. Er ging wieder das Zimmer auf und nieder, und während sie schwiegen, hörten sie den Sand unter dem ruhigen Schritt knistern. "Ja," sagte der Alte mit tiefem Athemzug, "es hat ihn Keiner gekannt so wie ich, Keiner das an ihm gehabt, Keiner das an ihm verloren. Was wußte er von der Welt und ihrer Weisheit, die ja Thorheit ist vor Gott! Was er wußte, war ihm Alles Offenba¬ rung von innen, und aus der Schrift, und aus dem Schmerz. Er ist selig geworden, weil er selig war."
Nach einer Pause sprach er weiter: "Wen habe ich nun, der mich beschämt, wenn ich hoffährtig werde, und rettet, wenn ich strauchle im Glauben, und die Gedanken schlichtet, die sich anklagen und entschul¬ digen? Die Welt wird so klug um mich. Was ich höre, verstehe ich nicht, und was ich lese, will meine Seele nicht verstehen, denn es ist ihr Unheil. Wie Viele stehn auf und meinen, mit Zungen zu reden, und siehe, es ist Lippenwerk. Und die Spötter hören es und haben ihre Freude. Mein alter Freund, wäre ich wo du bist!"
Clemens wandte sich. Er hatte den Vater nie so über eigne Herzensnöthe reden hören. Er trat zu ihm
zur Linken mit den Primeln und Monatsroſen? Du haſt es ſonſt nicht geſehn. Weißt du, wer da ſchläft? Mein guter, alter Freund, der Vater unſrer Marlene.“
Er trat vom Fenſter zurück, an dem der Sohn ergriffen ſtehn blieb. Er ging wieder das Zimmer auf und nieder, und während ſie ſchwiegen, hörten ſie den Sand unter dem ruhigen Schritt kniſtern. „Ja,“ ſagte der Alte mit tiefem Athemzug, „es hat ihn Keiner gekannt ſo wie ich, Keiner das an ihm gehabt, Keiner das an ihm verloren. Was wußte er von der Welt und ihrer Weisheit, die ja Thorheit iſt vor Gott! Was er wußte, war ihm Alles Offenba¬ rung von innen, und aus der Schrift, und aus dem Schmerz. Er iſt ſelig geworden, weil er ſelig war.“
Nach einer Pauſe ſprach er weiter: „Wen habe ich nun, der mich beſchämt, wenn ich hoffährtig werde, und rettet, wenn ich ſtrauchle im Glauben, und die Gedanken ſchlichtet, die ſich anklagen und entſchul¬ digen? Die Welt wird ſo klug um mich. Was ich höre, verſtehe ich nicht, und was ich leſe, will meine Seele nicht verſtehen, denn es iſt ihr Unheil. Wie Viele ſtehn auf und meinen, mit Zungen zu reden, und ſiehe, es iſt Lippenwerk. Und die Spötter hören es und haben ihre Freude. Mein alter Freund, wäre ich wo du biſt!“
Clemens wandte ſich. Er hatte den Vater nie ſo über eigne Herzensnöthe reden hören. Er trat zu ihm
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zur Linken mit den Primeln und Monatsroſen? Du
haſt es ſonſt nicht geſehn. Weißt du, wer da ſchläft?
Mein guter, alter Freund, der Vater unſrer Marlene.“
Er trat vom Fenſter zurück, an dem der Sohn
ergriffen ſtehn blieb. Er ging wieder das Zimmer
auf und nieder, und während ſie ſchwiegen, hörten
ſie den Sand unter dem ruhigen Schritt kniſtern.
„Ja,“ ſagte der Alte mit tiefem Athemzug, „es hat
ihn Keiner gekannt ſo wie ich, Keiner das an ihm
gehabt, Keiner das an ihm verloren. Was wußte
er von der Welt und ihrer Weisheit, die ja Thorheit
iſt vor Gott! Was er wußte, war ihm Alles Offenba¬
rung von innen, und aus der Schrift, und aus dem
Schmerz. Er iſt ſelig geworden, weil er ſelig war.“
Nach einer Pauſe ſprach er weiter: „Wen habe ich
nun, der mich beſchämt, wenn ich hoffährtig werde,
und rettet, wenn ich ſtrauchle im Glauben, und die
Gedanken ſchlichtet, die ſich anklagen und entſchul¬
digen? Die Welt wird ſo klug um mich. Was ich
höre, verſtehe ich nicht, und was ich leſe, will meine
Seele nicht verſtehen, denn es iſt ihr Unheil. Wie
Viele ſtehn auf und meinen, mit Zungen zu reden,
und ſiehe, es iſt Lippenwerk. Und die Spötter hören
es und haben ihre Freude. Mein alter Freund, wäre
ich wo du biſt!“
Clemens wandte ſich. Er hatte den Vater nie ſo
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/56>, abgerufen am 25.07.2024.
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