Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855."Ich nicht, Clemens. Warum sollt' ich seufzen? "Du hast doch geseufzt. Meinst du, ich hörte es "Ja, es ist kalt geworden." "Du betrügst mich nicht. Wenn dir kalt wäre, Sie schüttelte das Köpfchen und erwiederte: "Wie „Ich nicht, Clemens. Warum ſollt' ich ſeufzen? „Du haſt doch geſeufzt. Meinſt du, ich hörte es „Ja, es iſt kalt geworden.“ „Du betrügſt mich nicht. Wenn dir kalt wäre, Sie ſchüttelte das Köpfchen und erwiederte: „Wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0016" n="4"/> <p>„Ich nicht, Clemens. Warum ſollt' ich ſeufzen?<lb/> Ich ſchrak nur zuſammen, wie der Wind auf einmal<lb/> ſo heftig hereinfuhr.“</p><lb/> <p>„Du haſt doch geſeufzt. Meinſt du, ich hörte es<lb/> nicht, wenn ich ſpiele? Und ich fühl' es auch bis<lb/> hieher, wie du zitterſt.“</p><lb/> <p>„Ja, es iſt kalt geworden.“</p><lb/> <p>„Du betrügſt mich nicht. Wenn dir kalt wäre,<lb/> ſtündeſt du nicht am Fenſter. Ich weiß aber, warum<lb/> du ſeufzeſt und zitterſt. Weil der Arzt morgen kommt<lb/> und uns mit Nadeln in die Augen ſtechen will, dar¬<lb/> um fürchteſt du dich. Und er hat doch geſagt, wie<lb/> bald Alles geſchehen ſei, und daß es nur thue wie<lb/> ein Mückenſtich. Warſt du nicht ſonſt tapfer und ge¬<lb/> duldig, und wenn ich als Kind ſchrie, ſo oft mir was<lb/> weh that, hat dich meine Mutter mir nicht immer<lb/> zum Muſter aufgeſtellt, obwohl du nur ein Mädchen<lb/> biſt? Und nun weißt du dich nicht auf deinen Muth<lb/> zu beſinnen, und denkſt gar nicht an das Glück, das<lb/> wir hernach zu hoffen haben?“</p><lb/> <p>Sie ſchüttelte das Köpfchen und erwiederte: „Wie<lb/> du nur denken kannſt, ich fürchtete mich vor dem kur¬<lb/> zen Schmerz. Aber beklommen bin ich von dummen,<lb/> kindiſchen Gedanken, aus denen ich mich nicht heraus¬<lb/> finde. — Seit dem Tage ſchon, wo der fremde Arzt,<lb/> den der Herr Baron hat kommen laſſen, vom Schloß<lb/> herunter zu deinem Vater kam, und die Mutter uns<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0016]
„Ich nicht, Clemens. Warum ſollt' ich ſeufzen?
Ich ſchrak nur zuſammen, wie der Wind auf einmal
ſo heftig hereinfuhr.“
„Du haſt doch geſeufzt. Meinſt du, ich hörte es
nicht, wenn ich ſpiele? Und ich fühl' es auch bis
hieher, wie du zitterſt.“
„Ja, es iſt kalt geworden.“
„Du betrügſt mich nicht. Wenn dir kalt wäre,
ſtündeſt du nicht am Fenſter. Ich weiß aber, warum
du ſeufzeſt und zitterſt. Weil der Arzt morgen kommt
und uns mit Nadeln in die Augen ſtechen will, dar¬
um fürchteſt du dich. Und er hat doch geſagt, wie
bald Alles geſchehen ſei, und daß es nur thue wie
ein Mückenſtich. Warſt du nicht ſonſt tapfer und ge¬
duldig, und wenn ich als Kind ſchrie, ſo oft mir was
weh that, hat dich meine Mutter mir nicht immer
zum Muſter aufgeſtellt, obwohl du nur ein Mädchen
biſt? Und nun weißt du dich nicht auf deinen Muth
zu beſinnen, und denkſt gar nicht an das Glück, das
wir hernach zu hoffen haben?“
Sie ſchüttelte das Köpfchen und erwiederte: „Wie
du nur denken kannſt, ich fürchtete mich vor dem kur¬
zen Schmerz. Aber beklommen bin ich von dummen,
kindiſchen Gedanken, aus denen ich mich nicht heraus¬
finde. — Seit dem Tage ſchon, wo der fremde Arzt,
den der Herr Baron hat kommen laſſen, vom Schloß
herunter zu deinem Vater kam, und die Mutter uns
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