Es war tief im Januar. Der erste Schnee hing am Gebirge, und die Sonne, die hinter dem Nebel stand, hatte nur einen geringen Streif am Fuß der Höhen weggeschmolzen. Aber die Oede der Campagne grünte wie Frühling. Nur die gelichteten Zweige der Oelbäume, die hie und da in Reihen die gelin¬ den Senkungen der Ebene hinab stehen oder eine einsame Capanne umgeben, und das niedre Gestrüpp, das bereift an den Straßen wuchert, empfanden den Winter. Um diese Zeit sind die zerstreuten Heerden in die Hürden nah bei der Hütte des Campagnuolen gesammelt, die gewöhnlich, im Schutz eines Hügels errichtet, mit Stroh bis auf den Boden dürftig ge¬ nug vor dem Wetter verwahrt ist, und wer von den Hirten zu singen oder Flöte und Sackpfeife zu spielen versteht, hat sich aufgemacht, in Rom nachzügelnd als Pifferaro, den Malern zum Modell zu dienen, oder mit anderm Erwerb das arme frierende Leben zu fristen. Herren der Campagne sind nun die Hunde, die in großen Rudeln die verlassene Weite durchstreifen, vom Hunger verwildert, von den Hirten nicht mehr streng bewacht, deren Armuth sie nur zur Last fallen.
Es war tief im Januar. Der erſte Schnee hing am Gebirge, und die Sonne, die hinter dem Nebel ſtand, hatte nur einen geringen Streif am Fuß der Höhen weggeſchmolzen. Aber die Oede der Campagne grünte wie Frühling. Nur die gelichteten Zweige der Oelbäume, die hie und da in Reihen die gelin¬ den Senkungen der Ebene hinab ſtehen oder eine einſame Capanne umgeben, und das niedre Geſtrüpp, das bereift an den Straßen wuchert, empfanden den Winter. Um dieſe Zeit ſind die zerſtreuten Heerden in die Hürden nah bei der Hütte des Campagnuolen geſammelt, die gewöhnlich, im Schutz eines Hügels errichtet, mit Stroh bis auf den Boden dürftig ge¬ nug vor dem Wetter verwahrt iſt, und wer von den Hirten zu ſingen oder Flöte und Sackpfeife zu ſpielen verſteht, hat ſich aufgemacht, in Rom nachzügelnd als Pifferaro, den Malern zum Modell zu dienen, oder mit anderm Erwerb das arme frierende Leben zu friſten. Herren der Campagne ſind nun die Hunde, die in großen Rudeln die verlaſſene Weite durchſtreifen, vom Hunger verwildert, von den Hirten nicht mehr ſtreng bewacht, deren Armuth ſie nur zur Laſt fallen.
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Es war tief im Januar. Der erſte Schnee hing
am Gebirge, und die Sonne, die hinter dem Nebel
ſtand, hatte nur einen geringen Streif am Fuß der
Höhen weggeſchmolzen. Aber die Oede der Campagne
grünte wie Frühling. Nur die gelichteten Zweige
der Oelbäume, die hie und da in Reihen die gelin¬
den Senkungen der Ebene hinab ſtehen oder eine
einſame Capanne umgeben, und das niedre Geſtrüpp,
das bereift an den Straßen wuchert, empfanden den
Winter. Um dieſe Zeit ſind die zerſtreuten Heerden
in die Hürden nah bei der Hütte des Campagnuolen
geſammelt, die gewöhnlich, im Schutz eines Hügels
errichtet, mit Stroh bis auf den Boden dürftig ge¬
nug vor dem Wetter verwahrt iſt, und wer von den
Hirten zu ſingen oder Flöte und Sackpfeife zu ſpielen
verſteht, hat ſich aufgemacht, in Rom nachzügelnd
als Pifferaro, den Malern zum Modell zu dienen,
oder mit anderm Erwerb das arme frierende Leben
zu friſten. Herren der Campagne ſind nun die Hunde,
die in großen Rudeln die verlaſſene Weite durchſtreifen,
vom Hunger verwildert, von den Hirten nicht mehr
ſtreng bewacht, deren Armuth ſie nur zur Laſt fallen.
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/139>, abgerufen am 04.07.2024.
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