Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].

Bild:
<< vorherige Seite

ausgewichen, ganz unwillkürlich, hatte auch nicht genau sagen können, warum. Es war nur so ein Wunsch in ihr, daß nichts sich ändern möge an diesem Zustand, der einem süßen Traume glich - ein geheimes Zurückbeben vielleicht vor Fragen und Entschlüssen, die dann kommen mußten.

Doch als das Eis der Newa aufgegangen und der Frühling gekommen, da war es, als ob auch Ercole die Worte nicht mehr zurückzudrängen vermöge, und sie strömten zu ihr, mächtig, wie langgedämmte Fluten, und zugleich betörend süß, wie das Werbelied einer Nachtigall. Aber gerade da, und als er schon jubeln wollte, kam es über sie wie eine beklemmende Angst. Sie hatte ja an diesen Augenblick im stillen bisweilen gedacht, aber er fand sie nun doch völlig verwirrt. Denn es kam ihr plötzlich vor, als habe dies alles gar nichts mit ihr zu tun, als könne es überhaupt nicht Wirklichkeit sein. Und Dorothee, die nur die Hände auszustrecken brauchte, um alle Blüten des Daseins zu fassen, faltete statt dessen diese Hände fest ineinander und erbat sich, mit gesenkten Lidern und leiser, bebender Stimme, eine Bedenkfrist.

Ja, sie tat mehr. Als Tante Sonja sie immer wieder zu drängen begann, einen solchen Bewerber, um den sich andere reißen würden, nicht unnütz hinzuhalten, da erklärte Dorothee, sie wolle sofort nach Burkahnen zurückkehren, denn sie fühle, nur dort könne sie sich den wichtigen Schritt in Ruhe und mit richtigem Ernst überlegen.

Tante Sonja war bitter enttäuscht über diese Wendung. Sie hatte gleich nach des Marcheses Werbung

ausgewichen, ganz unwillkürlich, hatte auch nicht genau sagen können, warum. Es war nur so ein Wunsch in ihr, daß nichts sich ändern möge an diesem Zustand, der einem süßen Traume glich – ein geheimes Zurückbeben vielleicht vor Fragen und Entschlüssen, die dann kommen mußten.

Doch als das Eis der Newa aufgegangen und der Frühling gekommen, da war es, als ob auch Ercole die Worte nicht mehr zurückzudrängen vermöge, und sie strömten zu ihr, mächtig, wie langgedämmte Fluten, und zugleich betörend süß, wie das Werbelied einer Nachtigall. Aber gerade da, und als er schon jubeln wollte, kam es über sie wie eine beklemmende Angst. Sie hatte ja an diesen Augenblick im stillen bisweilen gedacht, aber er fand sie nun doch völlig verwirrt. Denn es kam ihr plötzlich vor, als habe dies alles gar nichts mit ihr zu tun, als könne es überhaupt nicht Wirklichkeit sein. Und Dorothee, die nur die Hände auszustrecken brauchte, um alle Blüten des Daseins zu fassen, faltete statt dessen diese Hände fest ineinander und erbat sich, mit gesenkten Lidern und leiser, bebender Stimme, eine Bedenkfrist.

Ja, sie tat mehr. Als Tante Sonja sie immer wieder zu drängen begann, einen solchen Bewerber, um den sich andere reißen würden, nicht unnütz hinzuhalten, da erklärte Dorothee, sie wolle sofort nach Burkahnen zurückkehren, denn sie fühle, nur dort könne sie sich den wichtigen Schritt in Ruhe und mit richtigem Ernst überlegen.

Tante Sonja war bitter enttäuscht über diese Wendung. Sie hatte gleich nach des Marcheses Werbung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0098" n="96"/>
ausgewichen, ganz unwillkürlich, hatte auch nicht genau sagen können, warum. Es war nur so ein Wunsch in ihr, daß nichts sich ändern möge an diesem Zustand, der einem süßen Traume glich &#x2013; ein geheimes Zurückbeben vielleicht vor Fragen und Entschlüssen, die dann kommen mußten.</p>
        <p>Doch als das Eis der Newa aufgegangen und der Frühling gekommen, da war es, als ob auch Ercole die Worte nicht mehr zurückzudrängen vermöge, und sie strömten zu ihr, mächtig, wie langgedämmte Fluten, und zugleich betörend süß, wie das Werbelied einer Nachtigall. Aber gerade da, und als er schon jubeln wollte, kam es über sie wie eine beklemmende Angst. Sie hatte ja an diesen Augenblick im stillen bisweilen gedacht, aber er fand sie nun doch völlig verwirrt. Denn es kam ihr plötzlich vor, als habe dies alles gar nichts mit ihr zu tun, als könne es überhaupt nicht Wirklichkeit sein. Und Dorothee, die nur die Hände auszustrecken brauchte, um alle Blüten des Daseins zu fassen, faltete statt dessen diese Hände fest ineinander und erbat sich, mit gesenkten Lidern und leiser, bebender Stimme, eine Bedenkfrist.</p>
        <p>Ja, sie tat mehr. Als Tante Sonja sie immer wieder zu drängen begann, einen solchen Bewerber, um den sich andere reißen würden, nicht unnütz hinzuhalten, da erklärte Dorothee, sie wolle sofort nach Burkahnen zurückkehren, denn sie fühle, nur dort könne sie sich den wichtigen Schritt in Ruhe und mit richtigem Ernst überlegen.</p>
        <p>Tante Sonja war bitter enttäuscht über diese Wendung. Sie hatte gleich nach des Marcheses Werbung
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0098] ausgewichen, ganz unwillkürlich, hatte auch nicht genau sagen können, warum. Es war nur so ein Wunsch in ihr, daß nichts sich ändern möge an diesem Zustand, der einem süßen Traume glich – ein geheimes Zurückbeben vielleicht vor Fragen und Entschlüssen, die dann kommen mußten. Doch als das Eis der Newa aufgegangen und der Frühling gekommen, da war es, als ob auch Ercole die Worte nicht mehr zurückzudrängen vermöge, und sie strömten zu ihr, mächtig, wie langgedämmte Fluten, und zugleich betörend süß, wie das Werbelied einer Nachtigall. Aber gerade da, und als er schon jubeln wollte, kam es über sie wie eine beklemmende Angst. Sie hatte ja an diesen Augenblick im stillen bisweilen gedacht, aber er fand sie nun doch völlig verwirrt. Denn es kam ihr plötzlich vor, als habe dies alles gar nichts mit ihr zu tun, als könne es überhaupt nicht Wirklichkeit sein. Und Dorothee, die nur die Hände auszustrecken brauchte, um alle Blüten des Daseins zu fassen, faltete statt dessen diese Hände fest ineinander und erbat sich, mit gesenkten Lidern und leiser, bebender Stimme, eine Bedenkfrist. Ja, sie tat mehr. Als Tante Sonja sie immer wieder zu drängen begann, einen solchen Bewerber, um den sich andere reißen würden, nicht unnütz hinzuhalten, da erklärte Dorothee, sie wolle sofort nach Burkahnen zurückkehren, denn sie fühle, nur dort könne sie sich den wichtigen Schritt in Ruhe und mit richtigem Ernst überlegen. Tante Sonja war bitter enttäuscht über diese Wendung. Sie hatte gleich nach des Marcheses Werbung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-15T09:32:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-15T09:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-15T09:32:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/98
Zitationshilfe: Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918], S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/98>, abgerufen am 02.05.2024.