Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].Veränderungen und Einschränkungen in der Lebensführung kamen freilich durch die zahllosen, sich oft widersprechenden Verordnungen. Viele dieser Bestimmungen hatten etwas unsicher Tastendes, als seien sie nur Versuche - aber den darob Murrenden hielt Großmama vor, daß man ja vor Aufgaben stehe, die keinem Volke noch geworden, und zu deren Bewältigung es daher keine erprobten Vorbilder und Mittel geben könne. Seltsam dünkte es die kuchenfrohe, an Wohlleben gewöhnte Bevölkerung in Großmamas Dorfe, als die fleischlosen Tage, die Backverbote begannen. Es hatte so ganz zu den Eigentümlichkeiten der Gegend gehört, daß auch die Geringsten allwöchentlich große, flache Kuchenteige auf Blechen zum Bäcker trugen und sie dort ausbacken ließen. Einen Sonntag ohne Kuchen zum Kaffee hatte es auch bei den Ärmeren nie gegeben. Das hörte nun auf - wie so manches andere. Altvertraute Dinge verschwanden. Alle Geräte aus Kupfer oder Messing wurden eingesammelt. In der Amtsstube wurden sie bedächtig gewogen vom Amtsvorsteher, Gendarm und Gutsvorstand. Behäbige Leute, die, selbst gern unbehelligt, jeden am liebsten leben ließen, wie es ihm gut dünkte, und die jetzt, von all den neuen Erlässen höherer Instanzen aufgerüttelt, nur mit Widerstreben bei den Nachbarinnen den Mehl- und Wurstvorräten nachspürten und forschten, ob auch ja keine besonders liebgewonnene Kasserolle zurückbehalten wurde. Oben im Schloß ließ Großmama all die kupfernen Pfannen und Formen zusammentragen, die, rötlich Veränderungen und Einschränkungen in der Lebensführung kamen freilich durch die zahllosen, sich oft widersprechenden Verordnungen. Viele dieser Bestimmungen hatten etwas unsicher Tastendes, als seien sie nur Versuche – aber den darob Murrenden hielt Großmama vor, daß man ja vor Aufgaben stehe, die keinem Volke noch geworden, und zu deren Bewältigung es daher keine erprobten Vorbilder und Mittel geben könne. Seltsam dünkte es die kuchenfrohe, an Wohlleben gewöhnte Bevölkerung in Großmamas Dorfe, als die fleischlosen Tage, die Backverbote begannen. Es hatte so ganz zu den Eigentümlichkeiten der Gegend gehört, daß auch die Geringsten allwöchentlich große, flache Kuchenteige auf Blechen zum Bäcker trugen und sie dort ausbacken ließen. Einen Sonntag ohne Kuchen zum Kaffee hatte es auch bei den Ärmeren nie gegeben. Das hörte nun auf – wie so manches andere. Altvertraute Dinge verschwanden. Alle Geräte aus Kupfer oder Messing wurden eingesammelt. In der Amtsstube wurden sie bedächtig gewogen vom Amtsvorsteher, Gendarm und Gutsvorstand. Behäbige Leute, die, selbst gern unbehelligt, jeden am liebsten leben ließen, wie es ihm gut dünkte, und die jetzt, von all den neuen Erlässen höherer Instanzen aufgerüttelt, nur mit Widerstreben bei den Nachbarinnen den Mehl- und Wurstvorräten nachspürten und forschten, ob auch ja keine besonders liebgewonnene Kasserolle zurückbehalten wurde. Oben im Schloß ließ Großmama all die kupfernen Pfannen und Formen zusammentragen, die, rötlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0053" n="51"/> <p>Veränderungen und Einschränkungen in der Lebensführung kamen freilich durch die zahllosen, sich oft widersprechenden Verordnungen. Viele dieser Bestimmungen hatten etwas unsicher Tastendes, als seien sie nur Versuche – aber den darob Murrenden hielt Großmama vor, daß man ja vor Aufgaben stehe, die keinem Volke noch geworden, und zu deren Bewältigung es daher keine erprobten Vorbilder und Mittel geben könne.</p> <p>Seltsam dünkte es die kuchenfrohe, an Wohlleben gewöhnte Bevölkerung in Großmamas Dorfe, als die fleischlosen Tage, die Backverbote begannen. Es hatte so ganz zu den Eigentümlichkeiten der Gegend gehört, daß auch die Geringsten allwöchentlich große, flache Kuchenteige auf Blechen zum Bäcker trugen und sie dort ausbacken ließen. Einen Sonntag ohne Kuchen zum Kaffee hatte es auch bei den Ärmeren nie gegeben. Das hörte nun auf – wie so manches andere.</p> <p>Altvertraute Dinge verschwanden. Alle Geräte aus Kupfer oder Messing wurden eingesammelt. In der Amtsstube wurden sie bedächtig gewogen vom Amtsvorsteher, Gendarm und Gutsvorstand. Behäbige Leute, die, selbst gern unbehelligt, jeden am liebsten leben ließen, wie es ihm gut dünkte, und die jetzt, von all den neuen Erlässen höherer Instanzen aufgerüttelt, nur mit Widerstreben bei den Nachbarinnen den Mehl- und Wurstvorräten nachspürten und forschten, ob auch ja keine besonders liebgewonnene Kasserolle zurückbehalten wurde.</p> <p>Oben im Schloß ließ Großmama all die kupfernen Pfannen und Formen zusammentragen, die, rötlich </p> </div> </body> </text> </TEI> [51/0053]
Veränderungen und Einschränkungen in der Lebensführung kamen freilich durch die zahllosen, sich oft widersprechenden Verordnungen. Viele dieser Bestimmungen hatten etwas unsicher Tastendes, als seien sie nur Versuche – aber den darob Murrenden hielt Großmama vor, daß man ja vor Aufgaben stehe, die keinem Volke noch geworden, und zu deren Bewältigung es daher keine erprobten Vorbilder und Mittel geben könne.
Seltsam dünkte es die kuchenfrohe, an Wohlleben gewöhnte Bevölkerung in Großmamas Dorfe, als die fleischlosen Tage, die Backverbote begannen. Es hatte so ganz zu den Eigentümlichkeiten der Gegend gehört, daß auch die Geringsten allwöchentlich große, flache Kuchenteige auf Blechen zum Bäcker trugen und sie dort ausbacken ließen. Einen Sonntag ohne Kuchen zum Kaffee hatte es auch bei den Ärmeren nie gegeben. Das hörte nun auf – wie so manches andere.
Altvertraute Dinge verschwanden. Alle Geräte aus Kupfer oder Messing wurden eingesammelt. In der Amtsstube wurden sie bedächtig gewogen vom Amtsvorsteher, Gendarm und Gutsvorstand. Behäbige Leute, die, selbst gern unbehelligt, jeden am liebsten leben ließen, wie es ihm gut dünkte, und die jetzt, von all den neuen Erlässen höherer Instanzen aufgerüttelt, nur mit Widerstreben bei den Nachbarinnen den Mehl- und Wurstvorräten nachspürten und forschten, ob auch ja keine besonders liebgewonnene Kasserolle zurückbehalten wurde.
Oben im Schloß ließ Großmama all die kupfernen Pfannen und Formen zusammentragen, die, rötlich
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