Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].diese ländlichen Menschen. Und gewohnt, die Wechselfälle der Witterung gleichmütig hinzunehmen und bei Hagelschlag oder Wolkenbruch nur an möglichst rasche Beseitigung der Schäden zu denken, machten sie nicht, wie manche überreizte Großstädter, ihren Gefühlen Luft in wilden Haßgesängen, hielten sich aber auch nicht, wie andere überfein Besaitete, nachträglich mit Spekulationen darüber auf, was sich vielleicht hätte vermeiden lassen, und ob Deutschland denn auch wirklich im Rechte sei. Ja, wohltätig empfand Großmama die Ruhe, die über dem winterlich verschneiten Lande lag, und am wohlsten und zuversichtlichsten fühlte sie sich, als sie wieder unter ihren Genesenden, ihren feldgrauen Pflegebefohlenen, war. Von ihnen strömte in schöner Selbstverständlichkeit der ergebene und doch starke Geist aus, der in dieser Zeit not tat, weil er allein sie richtig zu tragen lehrte. Unter ihnen verlebte auch Großmama ihr Weihnachten. Sie hatte sich vor dem Abend etwas gefürchtet, denn von allen Gedenktagen war es derjenige, durch den die Erinnerung an die drei fehlenden Enkel, von denen der eine nie mehr ein Weihnachtsbäumchen sehen würde, ihr am schmerzlichsten zum Bewußtsein kommen mußte. Aber dann war es bei diesen grauen fremden Enkeln so rührend feierlich gewesen, daß sie sich selbst glücklich gefühlt hatte. Glücklich, ihnen das Fest schön gestalten zu dürfen, dankbar für die äußere Unabhängigkeit, die ihr das ermöglichte, und für die innere, durch die sie Freude und Genügen in ihrem Tun selbst fand, ohne, wie sie es von manchen diese ländlichen Menschen. Und gewohnt, die Wechselfälle der Witterung gleichmütig hinzunehmen und bei Hagelschlag oder Wolkenbruch nur an möglichst rasche Beseitigung der Schäden zu denken, machten sie nicht, wie manche überreizte Großstädter, ihren Gefühlen Luft in wilden Haßgesängen, hielten sich aber auch nicht, wie andere überfein Besaitete, nachträglich mit Spekulationen darüber auf, was sich vielleicht hätte vermeiden lassen, und ob Deutschland denn auch wirklich im Rechte sei. Ja, wohltätig empfand Großmama die Ruhe, die über dem winterlich verschneiten Lande lag, und am wohlsten und zuversichtlichsten fühlte sie sich, als sie wieder unter ihren Genesenden, ihren feldgrauen Pflegebefohlenen, war. Von ihnen strömte in schöner Selbstverständlichkeit der ergebene und doch starke Geist aus, der in dieser Zeit not tat, weil er allein sie richtig zu tragen lehrte. Unter ihnen verlebte auch Großmama ihr Weihnachten. Sie hatte sich vor dem Abend etwas gefürchtet, denn von allen Gedenktagen war es derjenige, durch den die Erinnerung an die drei fehlenden Enkel, von denen der eine nie mehr ein Weihnachtsbäumchen sehen würde, ihr am schmerzlichsten zum Bewußtsein kommen mußte. Aber dann war es bei diesen grauen fremden Enkeln so rührend feierlich gewesen, daß sie sich selbst glücklich gefühlt hatte. Glücklich, ihnen das Fest schön gestalten zu dürfen, dankbar für die äußere Unabhängigkeit, die ihr das ermöglichte, und für die innere, durch die sie Freude und Genügen in ihrem Tun selbst fand, ohne, wie sie es von manchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0051" n="49"/> diese ländlichen Menschen. Und gewohnt, die Wechselfälle der Witterung gleichmütig hinzunehmen und bei Hagelschlag oder Wolkenbruch nur an möglichst rasche Beseitigung der Schäden zu denken, machten sie nicht, wie manche überreizte Großstädter, ihren Gefühlen Luft in wilden Haßgesängen, hielten sich aber auch nicht, wie andere überfein Besaitete, nachträglich mit Spekulationen darüber auf, was sich vielleicht hätte vermeiden lassen, und ob Deutschland denn auch wirklich im Rechte sei.</p> <p>Ja, wohltätig empfand Großmama die Ruhe, die über dem winterlich verschneiten Lande lag, und am wohlsten und zuversichtlichsten fühlte sie sich, als sie wieder unter ihren Genesenden, ihren feldgrauen Pflegebefohlenen, war. Von ihnen strömte in schöner Selbstverständlichkeit der ergebene und doch starke Geist aus, der in dieser Zeit not tat, weil er allein sie richtig zu tragen lehrte. Unter ihnen verlebte auch Großmama ihr Weihnachten. Sie hatte sich vor dem Abend etwas gefürchtet, denn von allen Gedenktagen war es derjenige, durch den die Erinnerung an die drei fehlenden Enkel, von denen der eine nie mehr ein Weihnachtsbäumchen sehen würde, ihr am schmerzlichsten zum Bewußtsein kommen mußte. Aber dann war es bei diesen grauen fremden Enkeln so rührend feierlich gewesen, daß sie sich selbst glücklich gefühlt hatte. Glücklich, ihnen das Fest schön gestalten zu dürfen, dankbar für die äußere Unabhängigkeit, die ihr das ermöglichte, und für die innere, durch die sie Freude und Genügen in ihrem Tun selbst fand, ohne, wie sie es von manchen </p> </div> </body> </text> </TEI> [49/0051]
diese ländlichen Menschen. Und gewohnt, die Wechselfälle der Witterung gleichmütig hinzunehmen und bei Hagelschlag oder Wolkenbruch nur an möglichst rasche Beseitigung der Schäden zu denken, machten sie nicht, wie manche überreizte Großstädter, ihren Gefühlen Luft in wilden Haßgesängen, hielten sich aber auch nicht, wie andere überfein Besaitete, nachträglich mit Spekulationen darüber auf, was sich vielleicht hätte vermeiden lassen, und ob Deutschland denn auch wirklich im Rechte sei.
Ja, wohltätig empfand Großmama die Ruhe, die über dem winterlich verschneiten Lande lag, und am wohlsten und zuversichtlichsten fühlte sie sich, als sie wieder unter ihren Genesenden, ihren feldgrauen Pflegebefohlenen, war. Von ihnen strömte in schöner Selbstverständlichkeit der ergebene und doch starke Geist aus, der in dieser Zeit not tat, weil er allein sie richtig zu tragen lehrte. Unter ihnen verlebte auch Großmama ihr Weihnachten. Sie hatte sich vor dem Abend etwas gefürchtet, denn von allen Gedenktagen war es derjenige, durch den die Erinnerung an die drei fehlenden Enkel, von denen der eine nie mehr ein Weihnachtsbäumchen sehen würde, ihr am schmerzlichsten zum Bewußtsein kommen mußte. Aber dann war es bei diesen grauen fremden Enkeln so rührend feierlich gewesen, daß sie sich selbst glücklich gefühlt hatte. Glücklich, ihnen das Fest schön gestalten zu dürfen, dankbar für die äußere Unabhängigkeit, die ihr das ermöglichte, und für die innere, durch die sie Freude und Genügen in ihrem Tun selbst fand, ohne, wie sie es von manchen
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