Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].

Bild:
<< vorherige Seite

Erwartungsvolle lag auch auf der kleinen, friedlichen Station, lag in jedem Gesicht, das die Ankommenden begrüßte. Ob sie vielleicht Neueres als die letzten Depeschen brächten? fragten die ihnen von Kindheit her Bekannten. Aber sie schüttelten die blonden Köpfe, wußten auch nur, daß Versuche gemacht würden, den Frieden zu erhalten, und daß man noch hoffe, es werde gelingen - eine Hoffnung freilich, die eigentlich nur ein das Schreckliche Nichtglaubenwollen und -können bedeute. Und während sie also erzählten, war es, mitten im leuchtenden Nachmittagssonnenschein, als breite eine ungeheure, dräuende Wolke ihren Schatten unheilvoll über das lachende Sommerland. Und sie empfanden, daß in diesem Augenblick nicht nur sie hier an der kleinen Station, nein, wohl die ganze Welt, hinaus in die Zukunft mit der gleichen, bangen Frage blickte: Konnte das Gewölk noch vorüberziehen, oder mußte der zündende Blitz ihm entfahren?

Oben am großen Portal des Schlosses stand schon Großmama, die Enkel erwartend. Großmama mit dem feinen, welken Gesicht und den klugen, forschenden Augen, so wie die Enkel sie immer gekannt, in weißem Gewand und gestützt auf den Stock, dessen Krücke ein weißes Porzellanmäuschen bildete. Als sie die drei nun wirklich aus dem leichten Jagdwagen steigen sah, ging freudiges Aufleuchten über das alte Antlitz, und sie sagte zu den beiden Ältesten: "Daß ihr überhaupt kommen konntet, gibt mir wieder Hoffnung." Aber der Kavallerist antwortete: "Den Urlaub hatte ich ja schon erhalten, noch ehe es so brenzlig wurde, und der

Erwartungsvolle lag auch auf der kleinen, friedlichen Station, lag in jedem Gesicht, das die Ankommenden begrüßte. Ob sie vielleicht Neueres als die letzten Depeschen brächten? fragten die ihnen von Kindheit her Bekannten. Aber sie schüttelten die blonden Köpfe, wußten auch nur, daß Versuche gemacht würden, den Frieden zu erhalten, und daß man noch hoffe, es werde gelingen – eine Hoffnung freilich, die eigentlich nur ein das Schreckliche Nichtglaubenwollen und -können bedeute. Und während sie also erzählten, war es, mitten im leuchtenden Nachmittagssonnenschein, als breite eine ungeheure, dräuende Wolke ihren Schatten unheilvoll über das lachende Sommerland. Und sie empfanden, daß in diesem Augenblick nicht nur sie hier an der kleinen Station, nein, wohl die ganze Welt, hinaus in die Zukunft mit der gleichen, bangen Frage blickte: Konnte das Gewölk noch vorüberziehen, oder mußte der zündende Blitz ihm entfahren?

Oben am großen Portal des Schlosses stand schon Großmama, die Enkel erwartend. Großmama mit dem feinen, welken Gesicht und den klugen, forschenden Augen, so wie die Enkel sie immer gekannt, in weißem Gewand und gestützt auf den Stock, dessen Krücke ein weißes Porzellanmäuschen bildete. Als sie die drei nun wirklich aus dem leichten Jagdwagen steigen sah, ging freudiges Aufleuchten über das alte Antlitz, und sie sagte zu den beiden Ältesten: „Daß ihr überhaupt kommen konntet, gibt mir wieder Hoffnung.“ Aber der Kavallerist antwortete: „Den Urlaub hatte ich ja schon erhalten, noch ehe es so brenzlig wurde, und der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="18"/>
Erwartungsvolle lag auch auf der kleinen, friedlichen Station, lag in jedem Gesicht, das die Ankommenden begrüßte. Ob sie vielleicht Neueres als die letzten Depeschen brächten? fragten die ihnen von Kindheit her Bekannten. Aber sie schüttelten die blonden Köpfe, wußten auch nur, daß Versuche gemacht würden, den Frieden zu erhalten, und daß man noch hoffe, es werde gelingen &#x2013; eine Hoffnung freilich, die eigentlich nur ein das Schreckliche Nichtglaubenwollen und -können bedeute. Und während sie also erzählten, war es, mitten im leuchtenden Nachmittagssonnenschein, als breite eine ungeheure, dräuende Wolke ihren Schatten unheilvoll über das lachende Sommerland. Und sie empfanden, daß in diesem Augenblick nicht nur sie hier an der kleinen Station, nein, wohl die ganze Welt, hinaus in die Zukunft mit der gleichen, bangen Frage blickte: Konnte das Gewölk noch vorüberziehen, oder mußte der zündende Blitz ihm entfahren?</p>
        <p>Oben am großen Portal des Schlosses stand schon Großmama, die Enkel erwartend. Großmama mit dem feinen, welken Gesicht und den klugen, forschenden Augen, so wie die Enkel sie immer gekannt, in weißem Gewand und gestützt auf den Stock, dessen Krücke ein weißes Porzellanmäuschen bildete. Als sie die drei nun wirklich aus dem leichten Jagdwagen steigen sah, ging freudiges Aufleuchten über das alte Antlitz, und sie sagte zu den beiden Ältesten: &#x201E;Daß ihr überhaupt kommen konntet, gibt mir wieder Hoffnung.&#x201C; Aber der Kavallerist antwortete: &#x201E;Den Urlaub hatte ich ja schon erhalten, noch ehe es so brenzlig wurde, und der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0020] Erwartungsvolle lag auch auf der kleinen, friedlichen Station, lag in jedem Gesicht, das die Ankommenden begrüßte. Ob sie vielleicht Neueres als die letzten Depeschen brächten? fragten die ihnen von Kindheit her Bekannten. Aber sie schüttelten die blonden Köpfe, wußten auch nur, daß Versuche gemacht würden, den Frieden zu erhalten, und daß man noch hoffe, es werde gelingen – eine Hoffnung freilich, die eigentlich nur ein das Schreckliche Nichtglaubenwollen und -können bedeute. Und während sie also erzählten, war es, mitten im leuchtenden Nachmittagssonnenschein, als breite eine ungeheure, dräuende Wolke ihren Schatten unheilvoll über das lachende Sommerland. Und sie empfanden, daß in diesem Augenblick nicht nur sie hier an der kleinen Station, nein, wohl die ganze Welt, hinaus in die Zukunft mit der gleichen, bangen Frage blickte: Konnte das Gewölk noch vorüberziehen, oder mußte der zündende Blitz ihm entfahren? Oben am großen Portal des Schlosses stand schon Großmama, die Enkel erwartend. Großmama mit dem feinen, welken Gesicht und den klugen, forschenden Augen, so wie die Enkel sie immer gekannt, in weißem Gewand und gestützt auf den Stock, dessen Krücke ein weißes Porzellanmäuschen bildete. Als sie die drei nun wirklich aus dem leichten Jagdwagen steigen sah, ging freudiges Aufleuchten über das alte Antlitz, und sie sagte zu den beiden Ältesten: „Daß ihr überhaupt kommen konntet, gibt mir wieder Hoffnung.“ Aber der Kavallerist antwortete: „Den Urlaub hatte ich ja schon erhalten, noch ehe es so brenzlig wurde, und der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-15T09:32:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-15T09:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-15T09:32:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/20
Zitationshilfe: Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918], S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/20>, abgerufen am 28.03.2024.