Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mehr befanden, sondern die zu Bauplätzen für ein ganz neues Stadtviertel eingerichtet war. Welche trostlose Aussicht für die Verlassenen! -- Hier die kahlen Mauern noch unvollendeter Gebäude, mit leeren Fenster- und Thüröffnungen, dort Haufen von Werkstücken, Ziegeln, Mauersteinen und Bauholz an tiefen, für die Fundamente der Häuser zugerichteten Gruben. So weit das Auge in der Dunkelheit dieses weite Gefilde zu übersehen vermochte, nichts als formlose Verwirrung. Kein lebendes Wesen in der Nähe. Fern ab das Geräusch der besuchten Gegenden, welches mit jedem Schritte der Wanderer immer weiter und dumpfer zurückzuweichen schien. Man weiß, daß selbst die Hauptstraßen von London zur Nacht nicht völlig sicher sind: was war also von einer abgelegenen Einöde zu besorgen, in welcher Diebe, ohne gestört oder bemerkt zu werden, sich in tausend bequemen Schlupfwinkeln verbergen, auf den Vorübergehenden losstürzen und ihn berauben durften, ohne daß Wächter den Angstruf vernehmen, oder andere Vorübergehende zu Hülfe kommen konnten. So muthig unsere jungen Landsleute auch waren, so konnten sie dennoch eines Gefühls von Bangigkeit sich nicht erwehren, und man wird es ihnen nicht verargen, daß sie auf dem Wege, den sie gekommen, umzukehren sich anschickten. Hatten sie indeß bereits ihre Richtung verloren, oder wurden sie durch die Absicht irre geleitet, einen kürzern Weg einzuschlagen, sie ge- mehr befanden, sondern die zu Bauplätzen für ein ganz neues Stadtviertel eingerichtet war. Welche trostlose Aussicht für die Verlassenen! — Hier die kahlen Mauern noch unvollendeter Gebäude, mit leeren Fenster- und Thüröffnungen, dort Haufen von Werkstücken, Ziegeln, Mauersteinen und Bauholz an tiefen, für die Fundamente der Häuser zugerichteten Gruben. So weit das Auge in der Dunkelheit dieses weite Gefilde zu übersehen vermochte, nichts als formlose Verwirrung. Kein lebendes Wesen in der Nähe. Fern ab das Geräusch der besuchten Gegenden, welches mit jedem Schritte der Wanderer immer weiter und dumpfer zurückzuweichen schien. Man weiß, daß selbst die Hauptstraßen von London zur Nacht nicht völlig sicher sind: was war also von einer abgelegenen Einöde zu besorgen, in welcher Diebe, ohne gestört oder bemerkt zu werden, sich in tausend bequemen Schlupfwinkeln verbergen, auf den Vorübergehenden losstürzen und ihn berauben durften, ohne daß Wächter den Angstruf vernehmen, oder andere Vorübergehende zu Hülfe kommen konnten. So muthig unsere jungen Landsleute auch waren, so konnten sie dennoch eines Gefühls von Bangigkeit sich nicht erwehren, und man wird es ihnen nicht verargen, daß sie auf dem Wege, den sie gekommen, umzukehren sich anschickten. Hatten sie indeß bereits ihre Richtung verloren, oder wurden sie durch die Absicht irre geleitet, einen kürzern Weg einzuschlagen, sie ge- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0009"/> mehr befanden, sondern die zu Bauplätzen für ein ganz neues Stadtviertel eingerichtet war. Welche trostlose Aussicht für die Verlassenen! — Hier die kahlen Mauern noch unvollendeter Gebäude, mit leeren Fenster- und Thüröffnungen, dort Haufen von Werkstücken, Ziegeln, Mauersteinen und Bauholz an tiefen, für die Fundamente der Häuser zugerichteten Gruben. So weit das Auge in der Dunkelheit dieses weite Gefilde zu übersehen vermochte, nichts als formlose Verwirrung. Kein lebendes Wesen in der Nähe. Fern ab das Geräusch der besuchten Gegenden, welches mit jedem Schritte der Wanderer immer weiter und dumpfer zurückzuweichen schien. Man weiß, daß selbst die Hauptstraßen von London zur Nacht nicht völlig sicher sind: was war also von einer abgelegenen Einöde zu besorgen, in welcher Diebe, ohne gestört oder bemerkt zu werden, sich in tausend bequemen Schlupfwinkeln verbergen, auf den Vorübergehenden losstürzen und ihn berauben durften, ohne daß Wächter den Angstruf vernehmen, oder andere Vorübergehende zu Hülfe kommen konnten.</p><lb/> <p>So muthig unsere jungen Landsleute auch waren, so konnten sie dennoch eines Gefühls von Bangigkeit sich nicht erwehren, und man wird es ihnen nicht verargen, daß sie auf dem Wege, den sie gekommen, umzukehren sich anschickten. Hatten sie indeß bereits ihre Richtung verloren, oder wurden sie durch die Absicht irre geleitet, einen kürzern Weg einzuschlagen, sie ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
mehr befanden, sondern die zu Bauplätzen für ein ganz neues Stadtviertel eingerichtet war. Welche trostlose Aussicht für die Verlassenen! — Hier die kahlen Mauern noch unvollendeter Gebäude, mit leeren Fenster- und Thüröffnungen, dort Haufen von Werkstücken, Ziegeln, Mauersteinen und Bauholz an tiefen, für die Fundamente der Häuser zugerichteten Gruben. So weit das Auge in der Dunkelheit dieses weite Gefilde zu übersehen vermochte, nichts als formlose Verwirrung. Kein lebendes Wesen in der Nähe. Fern ab das Geräusch der besuchten Gegenden, welches mit jedem Schritte der Wanderer immer weiter und dumpfer zurückzuweichen schien. Man weiß, daß selbst die Hauptstraßen von London zur Nacht nicht völlig sicher sind: was war also von einer abgelegenen Einöde zu besorgen, in welcher Diebe, ohne gestört oder bemerkt zu werden, sich in tausend bequemen Schlupfwinkeln verbergen, auf den Vorübergehenden losstürzen und ihn berauben durften, ohne daß Wächter den Angstruf vernehmen, oder andere Vorübergehende zu Hülfe kommen konnten.
So muthig unsere jungen Landsleute auch waren, so konnten sie dennoch eines Gefühls von Bangigkeit sich nicht erwehren, und man wird es ihnen nicht verargen, daß sie auf dem Wege, den sie gekommen, umzukehren sich anschickten. Hatten sie indeß bereits ihre Richtung verloren, oder wurden sie durch die Absicht irre geleitet, einen kürzern Weg einzuschlagen, sie ge-
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Zitationshilfe: | Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/9>, abgerufen am 17.02.2025. |