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Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und strengt ihre äußersten Kräfte an, ihm nachzukommen. Sie sind bereits in der City. Die Menge wogt mit betäubendem Geräusche von beiden Seiten, aber durch dieses Geräusch vernimmt Betty nur die flüchtigen Tritte ihres Gemahls, der jetzt nur wenige Ellen vor ihr geht. -- Oft wird er durch den Andrang ihren Blicken entzogen, und ihre Angst steigt fast bis zur Ohnmacht. Dann sieht sie wieder seinen Oberrock von erbsfarbenem Casimir, seinen weißen Castorhut eine weitere Strecke vor sich, und beflügelt mit der höchsten Anstrengung ihre wankenden Schritte. -- Sie sind nun in der Nähe der Börse. Williams biegt in den ungepflasterten Nebenweg ein, der zum Seitenflügel dieses Gebäudes führt und der am häufigsten von den vornehmeren Kaufleuten erwählt wird, um dem Pöbel an der Hauptfacade auszuweichen. Betty ist dicht hinter ihm. Aber die Straße ist mit Hunderten angefüllt, die ähnlich gekleidet sind, als Williams. Sie sieht seinen Castorhut noch einmal auftauchen unter dunkleren Kopfbedeckungen. Zehn Schritte weiter leuchten wenigstens dreißig solcher Hüte. Ihr Merkzeichen leitet ihre Blicke nicht mehr, und Williams -- ist verschwunden. Sie steht rathlos, müde zum Umsinken. Soll sie umkehren? -- Ihre letzten Kräfte scheinen sie zu verlassen. Soll sie Bekannte in London aufsuchen, um sich auszuruhen? -- Sie hat deren wenige, Vertraute gar keine, und wie soll sie ihre Verkleidung erörtern? Zuletzt entschließt sie sich dennoch

und strengt ihre äußersten Kräfte an, ihm nachzukommen. Sie sind bereits in der City. Die Menge wogt mit betäubendem Geräusche von beiden Seiten, aber durch dieses Geräusch vernimmt Betty nur die flüchtigen Tritte ihres Gemahls, der jetzt nur wenige Ellen vor ihr geht. — Oft wird er durch den Andrang ihren Blicken entzogen, und ihre Angst steigt fast bis zur Ohnmacht. Dann sieht sie wieder seinen Oberrock von erbsfarbenem Casimir, seinen weißen Castorhut eine weitere Strecke vor sich, und beflügelt mit der höchsten Anstrengung ihre wankenden Schritte. — Sie sind nun in der Nähe der Börse. Williams biegt in den ungepflasterten Nebenweg ein, der zum Seitenflügel dieses Gebäudes führt und der am häufigsten von den vornehmeren Kaufleuten erwählt wird, um dem Pöbel an der Hauptfaçade auszuweichen. Betty ist dicht hinter ihm. Aber die Straße ist mit Hunderten angefüllt, die ähnlich gekleidet sind, als Williams. Sie sieht seinen Castorhut noch einmal auftauchen unter dunkleren Kopfbedeckungen. Zehn Schritte weiter leuchten wenigstens dreißig solcher Hüte. Ihr Merkzeichen leitet ihre Blicke nicht mehr, und Williams — ist verschwunden. Sie steht rathlos, müde zum Umsinken. Soll sie umkehren? — Ihre letzten Kräfte scheinen sie zu verlassen. Soll sie Bekannte in London aufsuchen, um sich auszuruhen? — Sie hat deren wenige, Vertraute gar keine, und wie soll sie ihre Verkleidung erörtern? Zuletzt entschließt sie sich dennoch

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:12:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/52>, abgerufen am 03.05.2024.