Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.diesen letzten Hafen meiner Hoffnung nicht betreten dürfen? Mir scheint es, erwiderte Eduard, daß Sie zu ängstlich in die Zukunft sehen. Verfolgte Sie bisher wirklich das Mißgeschick, so ist doch nichts beständig in der Welt, so wenig das Unglück als das Glück, und auf den Regen folgt unfehlbar Sonnenschein. Ohnedies hat der bescheiden Wünschende weniger zu befürchten von den dunkeln feindlichen Mächten, die schadenfroh den Uebermüthigen demüthigen, aber an dem Frommen öfter vorübergehen, den der Verlust zeitlicher Güter so tief nicht beugen kann, weil sein Vertrauen in Gott beruht, das ihn nicht sinken läßt, so erbittert auch die Feinde ihn anfechten mögen. Die Gnade Gottes ist indeß nicht größer als seine Gerechtigkeit, und weiß ich, ob meine bisherigen Leiden, so sehr ich sie mir zu erschweren bemüht war, genügen, um die Ansprüche jener ewigen Gerechtigkeit aufzuwiegen? Auch ich weiß es nicht, gab Eduard zur Antwort, da ich Ihre Schuld nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Wohl aber weiß ich, daß die Langmuth Gottes eben so groß ist, als seine Gerechtigkeit. Der himmlische Vater ist unser Richter, nicht aber unser Peiniger. Keine Faser unserer Schuld entgeht ihm, aber auch kein Grund zu unserer Entschuldigung, und seine allweise Barmherzigkeit unterläßt diesen letzten Hafen meiner Hoffnung nicht betreten dürfen? Mir scheint es, erwiderte Eduard, daß Sie zu ängstlich in die Zukunft sehen. Verfolgte Sie bisher wirklich das Mißgeschick, so ist doch nichts beständig in der Welt, so wenig das Unglück als das Glück, und auf den Regen folgt unfehlbar Sonnenschein. Ohnedies hat der bescheiden Wünschende weniger zu befürchten von den dunkeln feindlichen Mächten, die schadenfroh den Uebermüthigen demüthigen, aber an dem Frommen öfter vorübergehen, den der Verlust zeitlicher Güter so tief nicht beugen kann, weil sein Vertrauen in Gott beruht, das ihn nicht sinken läßt, so erbittert auch die Feinde ihn anfechten mögen. Die Gnade Gottes ist indeß nicht größer als seine Gerechtigkeit, und weiß ich, ob meine bisherigen Leiden, so sehr ich sie mir zu erschweren bemüht war, genügen, um die Ansprüche jener ewigen Gerechtigkeit aufzuwiegen? Auch ich weiß es nicht, gab Eduard zur Antwort, da ich Ihre Schuld nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Wohl aber weiß ich, daß die Langmuth Gottes eben so groß ist, als seine Gerechtigkeit. Der himmlische Vater ist unser Richter, nicht aber unser Peiniger. Keine Faser unserer Schuld entgeht ihm, aber auch kein Grund zu unserer Entschuldigung, und seine allweise Barmherzigkeit unterläßt <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0032"/> diesen letzten Hafen meiner Hoffnung nicht betreten dürfen?</p><lb/> <p>Mir scheint es, erwiderte Eduard, daß Sie zu ängstlich in die Zukunft sehen. Verfolgte Sie bisher wirklich das Mißgeschick, so ist doch nichts beständig in der Welt, so wenig das Unglück als das Glück, und auf den Regen folgt unfehlbar Sonnenschein. Ohnedies hat der bescheiden Wünschende weniger zu befürchten von den dunkeln feindlichen Mächten, die schadenfroh den Uebermüthigen demüthigen, aber an dem Frommen öfter vorübergehen, den der Verlust zeitlicher Güter so tief nicht beugen kann, weil sein Vertrauen in Gott beruht, das ihn nicht sinken läßt, so erbittert auch die Feinde ihn anfechten mögen.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Gnade</hi> Gottes ist indeß nicht größer als seine <hi rendition="#g">Gerechtigkeit</hi>, und weiß ich, ob meine bisherigen Leiden, so sehr ich sie mir zu erschweren bemüht war, genügen, um die Ansprüche jener ewigen Gerechtigkeit aufzuwiegen?</p><lb/> <p>Auch ich weiß es nicht, gab Eduard zur Antwort, da ich Ihre Schuld nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Wohl aber weiß ich, daß die Langmuth Gottes eben so groß ist, als seine Gerechtigkeit. Der himmlische Vater ist unser Richter, nicht aber unser Peiniger. Keine Faser unserer Schuld entgeht ihm, aber auch kein Grund zu unserer Entschuldigung, und seine allweise Barmherzigkeit unterläßt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
diesen letzten Hafen meiner Hoffnung nicht betreten dürfen?
Mir scheint es, erwiderte Eduard, daß Sie zu ängstlich in die Zukunft sehen. Verfolgte Sie bisher wirklich das Mißgeschick, so ist doch nichts beständig in der Welt, so wenig das Unglück als das Glück, und auf den Regen folgt unfehlbar Sonnenschein. Ohnedies hat der bescheiden Wünschende weniger zu befürchten von den dunkeln feindlichen Mächten, die schadenfroh den Uebermüthigen demüthigen, aber an dem Frommen öfter vorübergehen, den der Verlust zeitlicher Güter so tief nicht beugen kann, weil sein Vertrauen in Gott beruht, das ihn nicht sinken läßt, so erbittert auch die Feinde ihn anfechten mögen.
Die Gnade Gottes ist indeß nicht größer als seine Gerechtigkeit, und weiß ich, ob meine bisherigen Leiden, so sehr ich sie mir zu erschweren bemüht war, genügen, um die Ansprüche jener ewigen Gerechtigkeit aufzuwiegen?
Auch ich weiß es nicht, gab Eduard zur Antwort, da ich Ihre Schuld nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Wohl aber weiß ich, daß die Langmuth Gottes eben so groß ist, als seine Gerechtigkeit. Der himmlische Vater ist unser Richter, nicht aber unser Peiniger. Keine Faser unserer Schuld entgeht ihm, aber auch kein Grund zu unserer Entschuldigung, und seine allweise Barmherzigkeit unterläßt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/32 |
Zitationshilfe: | Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/32>, abgerufen am 16.07.2024. |