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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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Will man also dem Juden, der intelligent ist, zumuthen,
ein Bauer alten Schlages zu werden? Das wäre gerade so, wie
wenn man dem Juden sagte: "Da hast Du eine Armbrust, zieh'
in den Krieg!" - Was? mit einer Armbrust, wenn die Anderen
Kleinkaliber-Gewehre und Krupp'sche Kanonen haben? Die
Juden, die man verbauern will, haben vollkommen Recht, wenn
sie sich unter solchen Umständen nicht vom Flecke rühren.
Die Armbrust ist eine schöne Waffe und sie stimmt mich elegisch,
wenn ich Zeit habe. Aber sie gehört in's Museum.

Nun gibt es freilich Gegenden, wo die verzweifelten Juden
sogar aufs Feld gehen oder doch gehen möchten. Und da zeigt
sich, dass diese Punkte - wie die Enclave von Hessen in
Deutschland und manche Provinzen Russlands - gerade die
Hauptnester des Antisemitismus sind.

Denn die Weltverbesserer, die den Juden ackern schicken,
vergessen eine sehr wichtige Person, die sehr viel dreinzureden
hat. Und das ist der Bauer. Auch der Bauer hat vollkommen
Recht. Grundsteuer, Erntegefahr, Druck der Grossbesitzer, die
billiger arbeiten und besonders die amerikanische Concurrenz
machen ihm das Leben sauer genug. Dazu können die Kornzölle
nicht in's Endlose wachsen. Man kann den Fabriksarbeiter
doch auch nicht verhungern lassen; man muss, weil sein politischer
Einfluss im Steigen ist, sogar immer mehr Rücksicht auf
ihn nehmen.

Alle diese Schwierigkeiten sind wohlbekannt, ich erwähne
sie daher nur flüchtig. Ich wollte lediglich andeuten, wie werthlos
die bisherigen in bewusster Absicht - in den meisten Fällen
auch in löblicher Absicht - gemachten Versuche der Lösung
waren. Weder die Ableitung, noch die künstliche Herabdrückung
des geistigen Niveaus in unserem Proletariat kann helfen. Das
Wundermittel der Assimilirung haben wir schon erörtert.

So ist dem Antisemitismus nicht beizukommen. Er kann
nicht behoben werden, so lange seine Gründe nicht behoben
sind. Sind diese aber behebbar?



Gründe des Antisemitismus.

Wir sprechen jetzt nicht mehr von den Gemüthsgründen,
alten Vorurtheilen und Bornirtheiten, sondern von den politischen
und wirthschaftlichen Gründen. Unser heutiger Antisemitismus
darf nicht mit dem religiösen Judenhasse früherer Zeiten ver-

Will man also dem Juden, der intelligent ist, zumuthen,
ein Bauer alten Schlages zu werden? Das wäre gerade so, wie
wenn man dem Juden sagte: „Da hast Du eine Armbrust, zieh'
in den Krieg!“ – Was? mit einer Armbrust, wenn die Anderen
Kleinkaliber-Gewehre und Krupp'sche Kanonen haben? Die
Juden, die man verbauern will, haben vollkommen Recht, wenn
sie sich unter solchen Umständen nicht vom Flecke rühren.
Die Armbrust ist eine schöne Waffe und sie stimmt mich elegisch,
wenn ich Zeit habe. Aber sie gehört in's Museum.

Nun gibt es freilich Gegenden, wo die verzweifelten Juden
sogar aufs Feld gehen oder doch gehen möchten. Und da zeigt
sich, dass diese Punkte – wie die Enclave von Hessen in
Deutschland und manche Provinzen Russlands – gerade die
Hauptnester des Antisemitismus sind.

Denn die Weltverbesserer, die den Juden ackern schicken,
vergessen eine sehr wichtige Person, die sehr viel dreinzureden
hat. Und das ist der Bauer. Auch der Bauer hat vollkommen
Recht. Grundsteuer, Erntegefahr, Druck der Grossbesitzer, die
billiger arbeiten und besonders die amerikanische Concurrenz
machen ihm das Leben sauer genug. Dazu können die Kornzölle
nicht in's Endlose wachsen. Man kann den Fabriksarbeiter
doch auch nicht verhungern lassen; man muss, weil sein politischer
Einfluss im Steigen ist, sogar immer mehr Rücksicht auf
ihn nehmen.

Alle diese Schwierigkeiten sind wohlbekannt, ich erwähne
sie daher nur flüchtig. Ich wollte lediglich andeuten, wie werthlos
die bisherigen in bewusster Absicht – in den meisten Fällen
auch in löblicher Absicht – gemachten Versuche der Lösung
waren. Weder die Ableitung, noch die künstliche Herabdrückung
des geistigen Niveaus in unserem Proletariat kann helfen. Das
Wundermittel der Assimilirung haben wir schon erörtert.

So ist dem Antisemitismus nicht beizukommen. Er kann
nicht behoben werden, so lange seine Gründe nicht behoben
sind. Sind diese aber behebbar?



Gründe des Antisemitismus.

Wir sprechen jetzt nicht mehr von den Gemüthsgründen,
alten Vorurtheilen und Bornirtheiten, sondern von den politischen
und wirthschaftlichen Gründen. Unser heutiger Antisemitismus
darf nicht mit dem religiösen Judenhasse früherer Zeiten ver-

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[0024] Will man also dem Juden, der intelligent ist, zumuthen, ein Bauer alten Schlages zu werden? Das wäre gerade so, wie wenn man dem Juden sagte: „Da hast Du eine Armbrust, zieh' in den Krieg!“ – Was? mit einer Armbrust, wenn die Anderen Kleinkaliber-Gewehre und Krupp'sche Kanonen haben? Die Juden, die man verbauern will, haben vollkommen Recht, wenn sie sich unter solchen Umständen nicht vom Flecke rühren. Die Armbrust ist eine schöne Waffe und sie stimmt mich elegisch, wenn ich Zeit habe. Aber sie gehört in's Museum. Nun gibt es freilich Gegenden, wo die verzweifelten Juden sogar aufs Feld gehen oder doch gehen möchten. Und da zeigt sich, dass diese Punkte – wie die Enclave von Hessen in Deutschland und manche Provinzen Russlands – gerade die Hauptnester des Antisemitismus sind. Denn die Weltverbesserer, die den Juden ackern schicken, vergessen eine sehr wichtige Person, die sehr viel dreinzureden hat. Und das ist der Bauer. Auch der Bauer hat vollkommen Recht. Grundsteuer, Erntegefahr, Druck der Grossbesitzer, die billiger arbeiten und besonders die amerikanische Concurrenz machen ihm das Leben sauer genug. Dazu können die Kornzölle nicht in's Endlose wachsen. Man kann den Fabriksarbeiter doch auch nicht verhungern lassen; man muss, weil sein politischer Einfluss im Steigen ist, sogar immer mehr Rücksicht auf ihn nehmen. Alle diese Schwierigkeiten sind wohlbekannt, ich erwähne sie daher nur flüchtig. Ich wollte lediglich andeuten, wie werthlos die bisherigen in bewusster Absicht – in den meisten Fällen auch in löblicher Absicht – gemachten Versuche der Lösung waren. Weder die Ableitung, noch die künstliche Herabdrückung des geistigen Niveaus in unserem Proletariat kann helfen. Das Wundermittel der Assimilirung haben wir schon erörtert. So ist dem Antisemitismus nicht beizukommen. Er kann nicht behoben werden, so lange seine Gründe nicht behoben sind. Sind diese aber behebbar? Gründe des Antisemitismus. Wir sprechen jetzt nicht mehr von den Gemüthsgründen, alten Vorurtheilen und Bornirtheiten, sondern von den politischen und wirthschaftlichen Gründen. Unser heutiger Antisemitismus darf nicht mit dem religiösen Judenhasse früherer Zeiten ver-

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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/24>, abgerufen am 03.12.2024.