Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

zu machen. Unsere jetzige verworrene Privatwohlthätigkeit stiftet
im Verhältniss zum gemachten Aufwand wenig Gutes. Die Wohlthätigkeitsanstalten
können und müssen in ein System gebracht
werden, wo sie sich gegenseitig ergänzen. In einer neuen
Gesellschaft können diese Einrichtungen aus dem modernen
Bewusstsein heraus und auf Grund aller socialpolitischen Erfahrungen
gemacht werden. Die Sache ist für uns sehr wichtig,
weil wir viele Bettler haben. Durch den äusseren Druck, der
sie muthlos macht und durch die weichliche Wohlthätigkeit der
Reichen, die sie verwöhnt, lassen sich die schwächeren Naturen
unter unseren Leuten leicht im Bettel gehen.

Die Society wird, unterstützt von den Ortsgruppen, der
Volkserziehung in dieser Hinsicht die grösste Aufmerksamkeit
zuwenden. Für viele Kräfte, die jetzt nutzlos hinwelken, wird
ja ein fruchtbarer Boden geschaffen. Wer nur den guten Willen
hat, soll angemessen verwendet werden. Bettler werden nicht
geduldet. Wer als Freier nichts thun will, kommt in's Arbeitshaus.

Hingegen wollen wir die Alten nicht in's Siechenhaus stecken.
Das Siechenhaus ist eine der grausamsten Wohlthaten, die
unsere alberne Gutmüthigkeit erfunden hat. Im Siechenhaus
schämt und kränkt sich der alte Mensch zu Tode. Er ist eigentlich
schon begraben. Wir aber wollen selbst denen, die auf den
untersten Stufen der Intelligenz stehen, bis an's Ende die tröstliche
Illusion ihrer Nützlichkeit lassen. Die zu körperlicher
Arbeit Unfähigen sollen leichte Dienste erhalten. Wir müssen
mit den atrophirten Armen einer jetzt schon hinwelkenden Generation
rechnen. Aber die nachkommenden Generationen sollen
in der Freiheit für die Freiheit anders erzogen werden.

Wir werden für alle Lebensalter, für alle Lebensstufen
die sittliche Beseligung der Arbeit suchen. So wird unser Volk
seine Tüchtigkeit wiederfinden im Siebenstundenlande.



Stadtpläne.

Die Ortsgruppen werden ihre Bevollmächtigten zur Ortswahl
delegiren. Bei der Landvertheilung wird darauf Rücksicht
genommen werden, dass die schonende Verpflanzung, die Erhaltung
alles Berechtigten möglich sei.

In den Ortsgruppen werden die Stadtpläne aufliegen.
Unsere Leute werden im vorhinein wissen, wohin sie gehen, in
welchen Städten, in welchen Häusern sie wohnen werden. Es
wurde schon von den Bauplänen und verständlichen Abbildungen
gesprochen, die an die Ortsgruppen zu vertheilen sind.

zu machen. Unsere jetzige verworrene Privatwohlthätigkeit stiftet
im Verhältniss zum gemachten Aufwand wenig Gutes. Die Wohlthätigkeitsanstalten
können und müssen in ein System gebracht
werden, wo sie sich gegenseitig ergänzen. In einer neuen
Gesellschaft können diese Einrichtungen aus dem modernen
Bewusstsein heraus und auf Grund aller socialpolitischen Erfahrungen
gemacht werden. Die Sache ist für uns sehr wichtig,
weil wir viele Bettler haben. Durch den äusseren Druck, der
sie muthlos macht und durch die weichliche Wohlthätigkeit der
Reichen, die sie verwöhnt, lassen sich die schwächeren Naturen
unter unseren Leuten leicht im Bettel gehen.

Die Society wird, unterstützt von den Ortsgruppen, der
Volkserziehung in dieser Hinsicht die grösste Aufmerksamkeit
zuwenden. Für viele Kräfte, die jetzt nutzlos hinwelken, wird
ja ein fruchtbarer Boden geschaffen. Wer nur den guten Willen
hat, soll angemessen verwendet werden. Bettler werden nicht
geduldet. Wer als Freier nichts thun will, kommt in's Arbeitshaus.

Hingegen wollen wir die Alten nicht in's Siechenhaus stecken.
Das Siechenhaus ist eine der grausamsten Wohlthaten, die
unsere alberne Gutmüthigkeit erfunden hat. Im Siechenhaus
schämt und kränkt sich der alte Mensch zu Tode. Er ist eigentlich
schon begraben. Wir aber wollen selbst denen, die auf den
untersten Stufen der Intelligenz stehen, bis an's Ende die tröstliche
Illusion ihrer Nützlichkeit lassen. Die zu körperlicher
Arbeit Unfähigen sollen leichte Dienste erhalten. Wir müssen
mit den atrophirten Armen einer jetzt schon hinwelkenden Generation
rechnen. Aber die nachkommenden Generationen sollen
in der Freiheit für die Freiheit anders erzogen werden.

Wir werden für alle Lebensalter, für alle Lebensstufen
die sittliche Beseligung der Arbeit suchen. So wird unser Volk
seine Tüchtigkeit wiederfinden im Siebenstundenlande.



Stadtpläne.

Die Ortsgruppen werden ihre Bevollmächtigten zur Ortswahl
delegiren. Bei der Landvertheilung wird darauf Rücksicht
genommen werden, dass die schonende Verpflanzung, die Erhaltung
alles Berechtigten möglich sei.

In den Ortsgruppen werden die Stadtpläne aufliegen.
Unsere Leute werden im vorhinein wissen, wohin sie gehen, in
welchen Städten, in welchen Häusern sie wohnen werden. Es
wurde schon von den Bauplänen und verständlichen Abbildungen
gesprochen, die an die Ortsgruppen zu vertheilen sind.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0058"/>
zu machen. Unsere jetzige verworrene Privatwohlthätigkeit stiftet<lb/>
im Verhältniss zum gemachten Aufwand wenig Gutes. Die Wohlthätigkeitsanstalten<lb/>
können und müssen in ein System gebracht<lb/>
werden, wo sie sich gegenseitig ergänzen. In einer neuen<lb/>
Gesellschaft können diese Einrichtungen aus dem modernen<lb/>
Bewusstsein heraus und auf Grund aller socialpolitischen Erfahrungen<lb/>
gemacht werden. Die Sache ist für uns sehr wichtig,<lb/>
weil wir viele Bettler haben. Durch den äusseren Druck, der<lb/>
sie muthlos macht und durch die weichliche Wohlthätigkeit der<lb/>
Reichen, die sie verwöhnt, lassen sich die schwächeren Naturen<lb/>
unter unseren Leuten leicht im Bettel gehen.<lb/></p>
          <p>Die Society wird, unterstützt von den Ortsgruppen, der<lb/>
Volkserziehung in dieser Hinsicht die grösste Aufmerksamkeit<lb/>
zuwenden. Für viele Kräfte, die jetzt nutzlos hinwelken, wird<lb/>
ja ein fruchtbarer Boden geschaffen. Wer nur den guten Willen<lb/>
hat, soll angemessen verwendet werden. Bettler werden nicht<lb/>
geduldet. Wer als Freier nichts thun will, kommt in's Arbeitshaus.<lb/></p>
          <p>Hingegen wollen wir die Alten nicht in's Siechenhaus stecken.<lb/>
Das Siechenhaus ist eine der grausamsten Wohlthaten, die<lb/>
unsere alberne Gutmüthigkeit erfunden hat. Im Siechenhaus<lb/>
schämt und kränkt sich der alte Mensch zu Tode. Er ist eigentlich<lb/>
schon begraben. Wir aber wollen selbst denen, die auf den<lb/>
untersten Stufen der Intelligenz stehen, bis an's Ende die tröstliche<lb/>
Illusion ihrer Nützlichkeit lassen. Die zu körperlicher<lb/>
Arbeit Unfähigen sollen leichte Dienste erhalten. Wir müssen<lb/>
mit den atrophirten Armen einer jetzt schon hinwelkenden Generation<lb/>
rechnen. Aber die nachkommenden Generationen sollen<lb/>
in der Freiheit für die Freiheit anders erzogen werden.<lb/></p>
          <p>Wir werden für alle Lebensalter, für alle Lebensstufen<lb/>
die sittliche Beseligung der Arbeit suchen. So wird unser Volk<lb/>
seine Tüchtigkeit wiederfinden im Siebenstundenlande.<lb/></p>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head>Stadtpläne.<lb/></head>
          <p>Die Ortsgruppen werden ihre Bevollmächtigten zur Ortswahl<lb/>
delegiren. Bei der Landvertheilung wird darauf Rücksicht<lb/>
genommen werden, dass die schonende Verpflanzung, die Erhaltung<lb/>
alles Berechtigten möglich sei.<lb/></p>
          <p>In den Ortsgruppen werden die Stadtpläne aufliegen.<lb/>
Unsere Leute werden im vorhinein wissen, wohin sie gehen, in<lb/>
welchen Städten, in welchen Häusern sie wohnen werden. Es<lb/>
wurde schon von den Bauplänen und verständlichen Abbildungen<lb/>
gesprochen, die an die Ortsgruppen zu vertheilen sind.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0058] zu machen. Unsere jetzige verworrene Privatwohlthätigkeit stiftet im Verhältniss zum gemachten Aufwand wenig Gutes. Die Wohlthätigkeitsanstalten können und müssen in ein System gebracht werden, wo sie sich gegenseitig ergänzen. In einer neuen Gesellschaft können diese Einrichtungen aus dem modernen Bewusstsein heraus und auf Grund aller socialpolitischen Erfahrungen gemacht werden. Die Sache ist für uns sehr wichtig, weil wir viele Bettler haben. Durch den äusseren Druck, der sie muthlos macht und durch die weichliche Wohlthätigkeit der Reichen, die sie verwöhnt, lassen sich die schwächeren Naturen unter unseren Leuten leicht im Bettel gehen. Die Society wird, unterstützt von den Ortsgruppen, der Volkserziehung in dieser Hinsicht die grösste Aufmerksamkeit zuwenden. Für viele Kräfte, die jetzt nutzlos hinwelken, wird ja ein fruchtbarer Boden geschaffen. Wer nur den guten Willen hat, soll angemessen verwendet werden. Bettler werden nicht geduldet. Wer als Freier nichts thun will, kommt in's Arbeitshaus. Hingegen wollen wir die Alten nicht in's Siechenhaus stecken. Das Siechenhaus ist eine der grausamsten Wohlthaten, die unsere alberne Gutmüthigkeit erfunden hat. Im Siechenhaus schämt und kränkt sich der alte Mensch zu Tode. Er ist eigentlich schon begraben. Wir aber wollen selbst denen, die auf den untersten Stufen der Intelligenz stehen, bis an's Ende die tröstliche Illusion ihrer Nützlichkeit lassen. Die zu körperlicher Arbeit Unfähigen sollen leichte Dienste erhalten. Wir müssen mit den atrophirten Armen einer jetzt schon hinwelkenden Generation rechnen. Aber die nachkommenden Generationen sollen in der Freiheit für die Freiheit anders erzogen werden. Wir werden für alle Lebensalter, für alle Lebensstufen die sittliche Beseligung der Arbeit suchen. So wird unser Volk seine Tüchtigkeit wiederfinden im Siebenstundenlande. Stadtpläne. Die Ortsgruppen werden ihre Bevollmächtigten zur Ortswahl delegiren. Bei der Landvertheilung wird darauf Rücksicht genommen werden, dass die schonende Verpflanzung, die Erhaltung alles Berechtigten möglich sei. In den Ortsgruppen werden die Stadtpläne aufliegen. Unsere Leute werden im vorhinein wissen, wohin sie gehen, in welchen Städten, in welchen Häusern sie wohnen werden. Es wurde schon von den Bauplänen und verständlichen Abbildungen gesprochen, die an die Ortsgruppen zu vertheilen sind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Austrian Literature Online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
  • Der Zeilenfall wurde beibehalten, die Silbentrennung aber wurde aufgehoben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/58
Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/58>, abgerufen am 26.12.2024.