Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herwegh, Georg]: Gedichte eines Lebendigen. Bd. 1. Zürich u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie all mein Haß und Groll in Scherben bricht,
Wenn ausgerungen eines Tages Wetter,
Der Mond ergießet sein versöhnend Licht,
Und wär's auch über welke Rosenblätter!
Leicht wie ein Ton, unhörbar wie ein Stern,
Fliegt meine Seele um in diesen Räumen;
Wie in sich selbst, versenkte sie sich gern
In aller Menschen tiefgeheimstes Träumen!
Mein Schatten schleicht mir nach wie ein Spion,
Ich stehe still vor eines Kerkers Gitter.
O Vaterland, dein zu getreuer Sohn,
Er büßte seine Liebe bitter, bitter!
Er schläft, -- und fühlt er, was man ihm geraubt?
Träumt er vielleicht von seinen Eichenbäumen?
Träumt er sich einen Siegerkranz um's Haubt? --
O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen!
Wie all mein Haß und Groll in Scherben bricht,
Wenn ausgerungen eines Tages Wetter,
Der Mond ergießet ſein verſöhnend Licht,
Und wär's auch über welke Roſenblätter!
Leicht wie ein Ton, unhörbar wie ein Stern,
Fliegt meine Seele um in dieſen Räumen;
Wie in ſich ſelbſt, verſenkte ſie ſich gern
In aller Menſchen tiefgeheimſtes Träumen!
Mein Schatten ſchleicht mir nach wie ein Spion,
Ich ſtehe ſtill vor eines Kerkers Gitter.
O Vaterland, dein zu getreuer Sohn,
Er büßte ſeine Liebe bitter, bitter!
Er ſchläft, — und fühlt er, was man ihm geraubt?
Träumt er vielleicht von ſeinen Eichenbäumen?
Träumt er ſich einen Siegerkranz um's Haubt? —
O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0099" n="93"/>
          <lg n="2">
            <l>Wie all mein Haß und Groll in Scherben bricht,</l><lb/>
            <l>Wenn ausgerungen eines Tages Wetter,</l><lb/>
            <l>Der Mond ergießet &#x017F;ein ver&#x017F;öhnend Licht,</l><lb/>
            <l>Und wär's auch über <hi rendition="#g">welke</hi> Ro&#x017F;enblätter!</l><lb/>
            <l>Leicht wie ein Ton, unhörbar wie ein Stern,</l><lb/>
            <l>Fliegt meine Seele um in die&#x017F;en Räumen;</l><lb/>
            <l>Wie in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, ver&#x017F;enkte &#x017F;ie &#x017F;ich gern</l><lb/>
            <l>In aller Men&#x017F;chen tiefgeheim&#x017F;tes Träumen!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l>Mein Schatten &#x017F;chleicht mir nach wie ein Spion,</l><lb/>
            <l>Ich &#x017F;tehe &#x017F;till vor eines Kerkers Gitter.</l><lb/>
            <l>O Vaterland, dein zu getreuer Sohn,</l><lb/>
            <l>Er büßte &#x017F;eine Liebe bitter, bitter!</l><lb/>
            <l>Er &#x017F;chläft, &#x2014; und fühlt er, was man ihm geraubt?</l><lb/>
            <l>Träumt er vielleicht von &#x017F;einen Eichenbäumen?</l><lb/>
            <l>Träumt er &#x017F;ich einen Siegerkranz um's Haubt? &#x2014;</l><lb/>
            <l>O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen!</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0099] Wie all mein Haß und Groll in Scherben bricht, Wenn ausgerungen eines Tages Wetter, Der Mond ergießet ſein verſöhnend Licht, Und wär's auch über welke Roſenblätter! Leicht wie ein Ton, unhörbar wie ein Stern, Fliegt meine Seele um in dieſen Räumen; Wie in ſich ſelbſt, verſenkte ſie ſich gern In aller Menſchen tiefgeheimſtes Träumen! Mein Schatten ſchleicht mir nach wie ein Spion, Ich ſtehe ſtill vor eines Kerkers Gitter. O Vaterland, dein zu getreuer Sohn, Er büßte ſeine Liebe bitter, bitter! Er ſchläft, — und fühlt er, was man ihm geraubt? Träumt er vielleicht von ſeinen Eichenbäumen? Träumt er ſich einen Siegerkranz um's Haubt? — O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herwegh_gedichte01_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herwegh_gedichte01_1841/99
Zitationshilfe: [Herwegh, Georg]: Gedichte eines Lebendigen. Bd. 1. Zürich u. a., 1841, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herwegh_gedichte01_1841/99>, abgerufen am 22.12.2024.