Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

deutet, was es bedeuten soll, desto schöner ists,
und nur innere Sympathie, d. i. Gefühl und
Versetzung unseres ganzen menschlichen Jchs
in die durchtastete Gestalt ist Lehrerin und Hand-
habe der Schönheit.

Wir finden daher, daß jedesmal, wo Eine
Form, Ein Glied vorzüglich bedeuten soll, da
trete es natürlich den andern etwas vor: es beut
sich
gleichsam selbst und zuerst und vorzüglich
der tastenden Hand dar.
Lasset eine Figur
denkend, sinnend, da stehn; so gleich senkt sich
das Haupt,
das ist, die untern Theile des Ge-
sichts ziehen sich, wie in den Schatten zurück, und
die Stirn wird Haupttheil. Auch ohne Fin-
ger an der Nase sagt die Gestalt: ich denke.
Laßt einen Jmperator vor sich sehen, daß sein Blick
befehle; sofort wird dieser Blick das laute Wort
des Gesichts, das Auge wird Haupttheil: da-
her sind auch an der Juno die Augen so schön und
groß gebildet, denn es ist der Königliche Wink
ihres Daseyns
ast ego regina Deum --
Laßt einen Apollo Zorn fühlen und schreiten: so
fort treten die Theile seines Körpers hervor, die
edles Selbstgefühl und Gang zu seinem Zwecke
andeuten: die Nase weht lebenden Othem und
macht Raum vor sich her: die Brust, ein schö-
ner Panzer, wölbet sich edel: die muthigen,

län-

deutet, was es bedeuten ſoll, deſto ſchoͤner iſts,
und nur innere Sympathie, d. i. Gefuͤhl und
Verſetzung unſeres ganzen menſchlichen Jchs
in die durchtaſtete Geſtalt iſt Lehrerin und Hand-
habe der Schoͤnheit.

Wir finden daher, daß jedesmal, wo Eine
Form, Ein Glied vorzuͤglich bedeuten ſoll, da
trete es natuͤrlich den andern etwas vor: es beut
ſich
gleichſam ſelbſt und zuerſt und vorzuͤglich
der taſtenden Hand dar.
Laſſet eine Figur
denkend, ſinnend, da ſtehn; ſo gleich ſenkt ſich
das Haupt,
das iſt, die untern Theile des Ge-
ſichts ziehen ſich, wie in den Schatten zuruͤck, und
die Stirn wird Haupttheil. Auch ohne Fin-
ger an der Naſe ſagt die Geſtalt: ich denke.
Laßt einen Jmperator vor ſich ſehen, daß ſein Blick
befehle; ſofort wird dieſer Blick das laute Wort
des Geſichts, das Auge wird Haupttheil: da-
her ſind auch an der Juno die Augen ſo ſchoͤn und
groß gebildet, denn es iſt der Koͤnigliche Wink
ihres Daſeyns
aſt ego regina Deum
Laßt einen Apollo Zorn fuͤhlen und ſchreiten: ſo
fort treten die Theile ſeines Koͤrpers hervor, die
edles Selbſtgefuͤhl und Gang zu ſeinem Zwecke
andeuten: die Naſe weht lebenden Othem und
macht Raum vor ſich her: die Bruſt, ein ſchoͤ-
ner Panzer, woͤlbet ſich edel: die muthigen,

laͤn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="92"/>
deutet, was es bedeuten <hi rendition="#fr">&#x017F;oll,</hi> de&#x017F;to &#x017F;cho&#x0364;ner i&#x017F;ts,<lb/>
und nur innere <hi rendition="#fr">Sympathie,</hi> d. i. <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Ver&#x017F;etzung un&#x017F;eres ganzen men&#x017F;chlichen Jchs</hi><lb/>
in die durchta&#x017F;tete Ge&#x017F;talt i&#x017F;t Lehrerin und Hand-<lb/>
habe der Scho&#x0364;nheit.</p><lb/>
        <p>Wir finden daher, daß jedesmal, wo <hi rendition="#fr">Eine</hi><lb/>
Form, <hi rendition="#fr">Ein</hi> Glied vorzu&#x0364;glich bedeuten &#x017F;oll, da<lb/>
trete es natu&#x0364;rlich den andern etwas vor: es <hi rendition="#fr">beut<lb/>
&#x017F;ich</hi> gleich&#x017F;am <hi rendition="#fr">&#x017F;elb&#x017F;t</hi> und <hi rendition="#fr">zuer&#x017F;t</hi> und <hi rendition="#fr">vorzu&#x0364;glich<lb/>
der ta&#x017F;tenden Hand dar.</hi> La&#x017F;&#x017F;et eine Figur<lb/><hi rendition="#fr">denkend, &#x017F;innend,</hi> da &#x017F;tehn; &#x017F;o gleich <hi rendition="#fr">&#x017F;enkt &#x017F;ich<lb/>
das Haupt,</hi> das i&#x017F;t, die untern Theile des Ge-<lb/>
&#x017F;ichts ziehen &#x017F;ich, wie in den Schatten zuru&#x0364;ck, und<lb/>
die <hi rendition="#fr">Stirn</hi> wird <hi rendition="#fr">Haupttheil.</hi> Auch ohne Fin-<lb/>
ger an der Na&#x017F;e &#x017F;agt die Ge&#x017F;talt: ich denke.<lb/>
Laßt einen Jmperator vor &#x017F;ich &#x017F;ehen, daß &#x017F;ein <hi rendition="#fr">Blick</hi><lb/>
befehle; &#x017F;ofort wird die&#x017F;er Blick das <hi rendition="#fr">laute Wort</hi><lb/>
des <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;ichts,</hi> das <hi rendition="#fr">Auge</hi> wird <hi rendition="#fr">Haupttheil:</hi> da-<lb/>
her &#x017F;ind auch an der Juno die Augen &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n und<lb/>
groß gebildet, denn es i&#x017F;t der Ko&#x0364;nigliche Wink<lb/>
ihres Da&#x017F;eyns<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">a&#x017F;t ego regina Deum</hi> &#x2014;</hi><lb/>
Laßt einen Apollo Zorn fu&#x0364;hlen und &#x017F;chreiten: &#x017F;o<lb/>
fort treten <hi rendition="#fr">die</hi> Theile &#x017F;eines Ko&#x0364;rpers hervor, die<lb/><hi rendition="#fr">edles Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl</hi> und <hi rendition="#fr">Gang</hi> zu &#x017F;einem Zwecke<lb/>
andeuten: die Na&#x017F;e weht lebenden Othem und<lb/>
macht Raum vor &#x017F;ich her: die <hi rendition="#fr">Bru&#x017F;t,</hi> ein &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
ner Panzer, wo&#x0364;lbet &#x017F;ich edel: die muthigen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">la&#x0364;n-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0095] deutet, was es bedeuten ſoll, deſto ſchoͤner iſts, und nur innere Sympathie, d. i. Gefuͤhl und Verſetzung unſeres ganzen menſchlichen Jchs in die durchtaſtete Geſtalt iſt Lehrerin und Hand- habe der Schoͤnheit. Wir finden daher, daß jedesmal, wo Eine Form, Ein Glied vorzuͤglich bedeuten ſoll, da trete es natuͤrlich den andern etwas vor: es beut ſich gleichſam ſelbſt und zuerſt und vorzuͤglich der taſtenden Hand dar. Laſſet eine Figur denkend, ſinnend, da ſtehn; ſo gleich ſenkt ſich das Haupt, das iſt, die untern Theile des Ge- ſichts ziehen ſich, wie in den Schatten zuruͤck, und die Stirn wird Haupttheil. Auch ohne Fin- ger an der Naſe ſagt die Geſtalt: ich denke. Laßt einen Jmperator vor ſich ſehen, daß ſein Blick befehle; ſofort wird dieſer Blick das laute Wort des Geſichts, das Auge wird Haupttheil: da- her ſind auch an der Juno die Augen ſo ſchoͤn und groß gebildet, denn es iſt der Koͤnigliche Wink ihres Daſeyns aſt ego regina Deum — Laßt einen Apollo Zorn fuͤhlen und ſchreiten: ſo fort treten die Theile ſeines Koͤrpers hervor, die edles Selbſtgefuͤhl und Gang zu ſeinem Zwecke andeuten: die Naſe weht lebenden Othem und macht Raum vor ſich her: die Bruſt, ein ſchoͤ- ner Panzer, woͤlbet ſich edel: die muthigen, laͤn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/95
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/95>, abgerufen am 21.11.2024.